Wohin wandern wir diesmal aus? Gilt nicht nur für La Palma
Drei Leute, José Antonio, Pepe und ich stehen am Tresen und jeder hat seinen eigenen Grund, warum er noch nicht zu Hause ist. (Um jegliche Vermutung gleich wieder hinaus auf die Straße zu spülen: Ich muß auf meine Tochter warten.) José Antonio hat Bananen, Pepe zwei Ferienhäuser - und ich bin der einzige, der gute Laune hat. Wir kennen uns schon ganz lang, und so ist der Gesprächsfaden eigentlich schon vorgegeben. Nichts ist schöner, als über die Unfähigkeit von Politikern zu lästern - und natürlich wissen wir alles besser - als würde die Nähe zu einem Tresen und den geistigen Getränken unseren Wissensstand noch erhöhen. Leider hat das Meckern einen realen Hintergrund. Die Bananen stehen am Abgrund und damit die Einkommensquelle „Nummer Eins“ der Insel. Der Tou- rismus wird auf billig getrimmt, noch bevor er überhaupt auch nur in Anfängen einen bedeutenden Beitrag zur Volkswirtschaft leisten kann. Die Fehler sind hausgemacht. Bei den Bananen hat man sich blinde 20 Jahre auf Madrid und Brüssel verlassen und weder einen Strukturwandel geplant noch jemals versucht, neue Marktstrategien zu entwickeln, die ohne Subventionen auskommen können. Im Tourismus verkauft man uns ein wirtschaftliches Auslaufmodell als innovative Idee - getreu dem Motto: Was für Lanzarote und Fuerteventura schon schlecht war, das kann für uns doch nicht noch schlechter sein; wir sind doch was ganz Besonderes! Vielleicht können wir uns mit den Bananen noch ein paar Jahre durchmogeln; ohne entscheidende Änderung der Marktstrategie werden wir aber keine kleine gelbe Zukunft mehr haben. Das ist uns eigentlich allen klar, aber das Wissen um unser eigenes Können und das unserer Politiker trübt die Stimmung schon ganz gewaltig. Im Tourismus scheint die Richtung auch vorgeschrieben: mehr Hotels und runter mit den Preisen. Das reduzierte Geld, das dann mit den Hotels verdient wird, bleibt nicht auf der Insel - besser gesagt: kommt erst gar nicht zu uns, weil die Pakete außerhalb geschnürt und auch dort bezahlt werden. Uns bleiben ein paar schlecht bezahlte Arbeitsplätze und folkloristische Darbietungen, die wir einem erlauchten Pauschalpublikum dann gnädigerweise vorführen dürfen. Wenn die dann meinen, Flamenco sei schöner als unsere südamerikanisch angehauchte Folklore, dann holen wir uns halt ein paar Marokkaner und lassen die den flämischen Zigeunertanz aufführen; die machen das nämlich für die Hälfte. Ich werde öfter mal der Schwarzmalerei verdächtigt, deshalb habe ich bewußt einen Gesprächsinhalt wiedergegeben, der nicht von mir stammt. Die Probleme sehen hier sehr viele Leute und leider auch die eigene Unfähigkeit, Dinge in andere Richtungen zu lenken. Das haben wir nie gelernt; man hat uns zu einem angenehmen Fatalismus erzogen, und die nur scheinbare Autonomie wird von Leuten verwaltet, die nur ihren eigenen Vorteil vor Augen haben. Noch sind Hopfen und die Kanaren nicht verloren. Wir können uns vor der Globalisierung nicht davonstehlen, aber wir können mit unseren Mitteln die Auswirkungen auf unsere kleinen unbedeutende Inselchen mildern. José Antonio und Pepe sind viel schlimmer drauf als ich und erinnern sich an die Schicksale ihrer Eltern, die diese Inseln zu Zehntausenden verlassen mußten, um auf der anderen Seite des Atlantiks Auskommen zu finden. Schlußworte der beiden war die Frage: „Wohin wandern wir dieses Mal aus? - Nach Venezuela oder Kuba? Denen geht es doch noch schlechter als uns. Und in Mitteleuropa braucht uns Landeier (magos de El Paso) doch auch niemand.“ Dagegen bin ich doch ein fröhlicher Optimist und würde am liebsten hier bleiben (wenn man uns läßt). Mathias Siebold