Sie sind vermutlich noch nicht im Forum angemeldet - Klicken Sie hier um sich kostenlos anzumelden  
Sie können sich hier anmelden
Dieses Thema hat 13 Antworten
und wurde 759 mal aufgerufen
 Urlaub auf Gran Canaria. Reiseberichte & Reiseunternehmen
zauberin60 ( gelöscht )
Beiträge:

21.04.2006 23:41
RE: Reise zu den Kanaren (Arbeitstitel) Antworten

Hallo, ihr Lieben,

ich habe jetzt die Genehmigung euch die neue Geschichte zu präsentieren.
Geschrieben hat sie Sebastian, dem ich hiermit ganz herzlich danke, das ich sie veröffentlichen darf.

Sebastian ist Mitglied in einem Verein, der es einem ermöglicht, im Winter eine Reise zu den Kanaren in einer besonderen Art zu machen.
Als Crewmitglied auf einem Segelschiff.
Viele werden jetzt denken, arbeiten, im Urlaub, sonst noch was?
Aber ich kann euch aus eigener Erfahrung sagen, es ist wunderbar. Ich hab eine solche Tour schon in Holland gemacht, durch das Ijsselmeer und die Westfriesischen Inseln verunsichert.
Es war wunderbar, abhängig von Wind und Gezeiten, zeigt es dem Menschen doch, wie klein er eigentlich ist.

Am Schluß werde ich natürlich mehr über den Verein schreiben, und wie vielleicht die eine oder andere einen Törn zu den Kanaren machen kann.
Ich wünsche viel Spaß und Spannung beim Lesen.

zauberin60 ( gelöscht )
Beiträge:

21.04.2006 23:46
#2 RE: Reise zu den Kanaren (Arbeitstitel) Antworten

Prolog
Der Wind zerrte an seinen nassen Haaren. Die Luft roch frisch und rein. Doch
das Tosen des Meeres, dieses unglaublich schönen Ozeans, vermochte nicht die
Ruhe zu zerstören, welche sich in seinem Inneren ausgebreitet und festgesetzt
hatte. Beinahe verwegen lächelte er, während er sich am stählernen Schanzkleid
festhielt. Das graugrüne Wasser bäumte sich erneut vor ihm auf, bald schon
verdeckte die weißgeschäumte Krone der Welle den fernen, kaum sichtbaren Horizont.
Fasziniert starrte er in das lebendige Wasser und jauchzte. Nun war der
Kamm höher als er selbst und bäumte sich immer weiter auf, bis die Welle über
ihm und den Bug hereinbrach und ihn von den Beinen riss.
6
Das Schiff
Als Alexander Paré die ROALD AMUNDSEN das erste Mal sah, wusste er noch nicht,
was ihn auf dieser Reise erwarten würde und so hielt er andächtig inne. Mit der
Hand die Augen gegen die Sonne abschirmend, betrachtete er den schwarzen gedrungenen
Rumpf, der nur wenige Meter aus dem ruhigen Wasser ragte. Rostspuren
zeigten sich unter abgesplitterter Farbe. Das Rigg, die beiden Masten und
die Segel sahen schäbig aus, dreckig, alt. Und es war klein. Viel kleiner, als er sich
das Schiff vorgestellt hatte.
Und dennoch...
Unsicher, was er von diesem Anblick halten sollte, verharrte er, wie jemand, der
vor einem großen Tor steht und darauf wartet, eingelassen zu werden. Unschlüssig
stellte er die große Reisetasche ab und rieb sich stöhnend die
schmerzende Schulter. Fürs Erste hatte er genug vom Schleppen.
7
„Sieht sie nicht toll aus?“, sprach ihn ein Mann aus seiner Reisegruppe an. Er
kannte dessen Namen noch nicht.
„Wer?“
„Na, die ROALD.“
Alexander zuckte nur die Schultern und sah ihn fragend an. Er konnte die Begeisterung
in seinem Gesicht nicht ganz nachvollziehen. „Na ja.“
Dichte Menschenmassen drängten sich auf dem breiten Kai. Männer, Frauen,
ganze Familien mit Kind, Hund und Kinderwagen drängten sich von einem
Traditionssegler zum anderen. Irgendwo im Hafen von Halifax, Kanada, gab es dicke
Hefte zu kaufen, für ein paar Dollar wahrscheinlich, auf jeder Seite ein
anderes der gut hundert Segelschiffe, die am nächsten Tag ihren Weg zurück nach
Europa antreten würden.
An jeder Rehling, an jeder Gangway standen Mitglieder der entsprechenden Besatzungen
und drückten Stempel mit den Schiffsemblemen in die Hefte. Hin und
wieder wurden sie sogar angehalten, Autogramme zu geben.
Alles in allem schienen die Leute das Fest zu genießen, für das reichlich Aufwand
betrieben worden war. Halifax war eine der wenigen offiziellen Stationen der
großen Traditionsseglerregatta, die ihren Anfang in Cádiz, Spanien genommen
hatte und über die Bermudas und Boston nach Halifax führte, der letzten Zwischenstation
vor der finalen Ziellinie in Amsterdam. Dort würde das nur alle fünf
Jahre stattfindende Gipfeltreffen dieser riesigen Schiffe, die ‚Amsterdam Sail’, den
Abschluss bilden.
„Excuse me.“, sprach ihn ein Mann an, der offenbar nicht von allein an seiner Tasche
vorbeikam.
„O’ natürlich...“, entfuhr es ihm. Als er bemerkte, dass er auf Englisch hätte reagieren
sollen, war der Mann samt Frau und Kindern schon wieder in der Menge
verschwunden.
Alexander wischte sich den Schweiß von der Stirn. Seit fast vierundzwanzig
Stunden waren er und seine Mitreisenden nun schon unterwegs, er war müde
und geschafft, aber viel zu aufgeregt, um zur nötigen Ruhe zu kommen.
Die Sonne am Himmel brannte, auf dem amerikanischen Kontinent war es
erst gegen sechs Uhr abends. Das Fest war in vollem Gang, keine Wolke trübte
den Himmel, die kalten Getränke fanden reichlich Abnehmer unter denen, die
stundenlang in den Schlangen standen, um an einer Besichtigung der größeren
Segler teilzuhaben.
Im Süden überzog die gigantische Hängebrücke die breite Mündung der Bucht, in
der sich der Hafen befand. Auf dem Weg vom Flughafen hatten sie die Brücke
überquert, staunend und fasziniert. Keiner von ihnen war jemals zuvor in Kanada
gewesen.
Der Kai war außergewöhnlich breit, angesichts der Tatsache, dass es sich nicht um
den industriellen Teil des Hafens handelte, wo man die vielen Segler hatte
anlegen lassen. So weit das Auge reichte, war der Horizont unterbrochen von
8
Masten und Stagen, von Seilen und flatternden Segeln, welche gerefft ihre volle
Größe nur ahnen ließen.
Hinter den Buden der Getränke- und Imbissfirmen erhob sich die Silhouette der
Stadt. Ein beeindruckend gelungenes Zusammenspiel von moderner Architektur
aus Glas und Stahl und den alten Holz- und Steinbauten aus früheren Kolonialzeiten.
Farbenfroh und hell hieß Halifax seine Besucher Willkommen.
Unwillkürlich lächelte er, während er sich umschaute, bemüht, nicht im Weg zu
stehen, verschnaufend, fremd an einem Ort, den er in weniger als vierundzwanzig
Stunden schon wieder verlassen würde.
Der Rest der Gruppe setzte sich wieder in Bewegung und so nahm auch er seine
Tasche auf und schleppte sie stöhnend die letzten Meter bis zum Schiff.
Dort angekommen wuchtete Alexander seine Tasche mühsam über das Schanzkleid
hinweg aufs Deck, wo sie ein Mann mit kurzen, blonden Haaren entgegen
nahm. Viele weitere Taschen folgten und gut zwanzig neugierige Augenpaare begutachteten
das kompliziert aussehende Gewirr aus Seilen, welches sich vom
hölzernen Deck ins Rigg erhob.
„Schön, dass ihr es noch geschafft habt. Wir dachten schon, ihr kommt gar nicht
mehr.“, rief ihnen jemand zu.
„Alle mal bitte zu mir!“, rief eine Frau, Anfang dreißig, mit langen dunklen Haaren
und gütigem Gesicht. Sie trug ein grünes T-Shirt und kurze Khakihosen. Sie
hielt eine Liste in der Hand und winkte sie alle herbei.
„Wir werden als erstes die Kojen vergeben. Das Schiff ist voll belegt, also werden
acht Mann in Hängematten schlafen müssen. Vielleicht auch neun, mal sehen...“
Sofort hoben sich einige Hände, riefen ihr irgendwelche Nummern zu, drängten
ruhelos zu ihr.
„Na?“ Alexander sah zur Seite, in die graugrünen Augen von Claudia, die ihn
angesprochen hatte. „Hast du dir schon eine Wache ausgesucht?“
„Kannst du mir eine empfehlen?“, gab er zurück.
„Na klar.“, mischte sich Flo ein. Er war ähnlich alt wie Alexander, knapp über
zwanzig, die Geheimratsecken schon ein wenig größer, aber die Augen wach und
schalkhaft. „Nimm die Vier-Acht-Wache. Du siehst den Sonnenaufgang, den Untergang
und das gesamte Farbenspiel, ohne auf Schlaf verzichten zu müssen.“
„Schlaf?“
„Natürlich. Warst du noch nie segeln?“
Alexander verneinte irritiert.
„Dann wirst du noch feststellen, wie wichtig Schlaf sein kann.“
Schelmisch grinste er. Alexander kniff verwirrt die Augen zusammen und betrachtete
die beiden. Sie waren praktisch die einzigen, mit denen er auf der langen
Reise nach Kanada ein Wort gewechselt hatte. Sie würden sich verstehen, davon
war er überzeugt.
Claudia ließ alle drei für die mittlere Wache eintragen. Die Verteilung der Kojen
kostete mehr Zeit. Jeder hatte seine speziellen Wünsche, zumindest jene, die
schon einmal eine Reise auf der ROALD AMUNDSEN hatten miterleben dürfen.
9
Obwohl sich der Tag bereits deutlich dem Abend näherte, war es noch immer
heiß. Die Sonne büßte auf ihrem Weg zum Horizont nur wenig an Intensität ein.
Alexanders T-Shirt war nass, seine Füße schmerzten. Eine Frau sprach ihn an, etwas
älter als er selbst, ihr lockiges dunkles Haar unter einem Kopftuch verborgen.
Sie trug ein blaues T-Shirt mit der Aufschrift CREW auf dem Rücken.
„Hallo, ich bin Sabine. Hast du Durst?“
Er nickte und sie wies auf einen Thermokanister, welcher neben einem Behälter
voller Tassen auf der seitlichen Backskiste des mittleren Deckaufbaus stand.
„Das ist Eistee, bedien dich.“
Er wollte ihr danken, aber schon war sie wieder im Gespräch mit einem anderen
Crewmitglied.
Wieder machte sich Unwohlsein in ihm breit. Den ganzen Tag schon versuchte
er, sich zu beruhigen, schließlich hatte er die Reise mit vollster Absicht angetreten.
Dennoch fühlte er sich wie in einem Gefängnis. Als wäre er nicht frei, als
würde er mit Ausschluss aus seinem eigenen Leben bestraft.
„Ganz ruhig, beruhig dich Junge!“, flüsterte er vor sich hin, während er zusah, wie
sich die Tasse mit rötlichem Tee füllte. „Es sind nur fünf Wochen.“
„Mit wem redest du?“, sprach ihn Claudia an und erschrocken verschüttete er ein
wenig des Tees.
„Mit niemandem, ich ...äh.“
„Alles klar bei dir?“
„Ja, wieso?“
„Schon gut.“ Sie winkte ab. „Die Kojen sind verteilt, wir können unser Gepäck
verstauen.“
Eilig stürzte er den Tee hinunter und griff nach seiner Tasche.
„Wache Zwei zu mir!“, brüllte ein mittelgroßer, unrasierter Mann mit kinnlangen
Haaren und erstaunlich tiefer Stimme.
„Das sind wir.“, sagte Claudia und stieß ihn in Richtung Bug.
„Ich bin Andreas.“, stellte sich der Mann vor. „Wir duzen uns hier alle. Auch den
Kapitän braucht ihr nicht mit Rang und Titel anzusprechen. Der Vorname genügt.
Da Michael, euer Toppsgast, beschäftigt ist, habe ich die Ehre, die Führung
zu machen und euch alles zu zeigen.“ Gutartiger Spott lag in seiner Stimme.
Er führte die kleine Gruppe zum vorderen Decksaufbau und half den einzelnen,
ihre schweren Taschen die steile Stahltreppe hinunter zu wuchten. Als sie alle unter
Deck standen, begann er seine Rede, die er offenbar nicht zum ersten Mal
hielt.
„Das ist das Messelogis. Hier werden nachher die Hängematten gespannt, wo diejenigen,
die in den Dingern schlafen können, die nächsten Wochen nächtigen
dürfen.“
Das Messelogis war ein größerer Raum, etwa fünf Meter lang, spitz zulaufend, da
er sich im Bug befand. Der vorderste Raum, dessen Schott offen stand, war die
Bootsmannslast, wo sie Werkzeuge und allerlei Gerätschaften des Schiffs sehen
10
konnten. Der Boden stieg bugwärts an, was für Landratten gewöhnungsbedürftig
war.
Bevor Andreas den Trupp weiterführte, wies er auf das Schott, was das Messelogis
von Rest des Schiffes trennte und sagte: „Die Schotten bleiben bitte immer offen
und in den entsprechenden Ösen festgehakt. Das ist an Bord sehr wichtig. Wenn
das Schiff auf See schlingert, und das wird es, dann wollt ihr doch nicht zwischen
so einer Tür eingeklemmt werden, oder? Also alle Türen immer sichern, ob sie
nun offen oder geschlossen sind.“
Sie nickten und betraten den Mittelgang, von dem mehrere Türen nach rechts
und links abzweigten.
„Das sind die Kammern. Beginnend mit der Zwölf und Kammer Acht an Backbord.
Vielleicht ist es besser, erst mal die Taschen in eure Kojen zu bringen.“
Nicht alle verstanden sofort, aber letztlich dauerte es nicht lange, bis jeder seine
Tasche an ihren Platz gebracht hatte.
Alexander betrat Kajüte Acht. Erstaunt stellte er fest, wie eng die Kammer war.
Der Gang zwischen den beiden Doppelstockbetten, welche längs zur Schiffsachse
ausgerichtet waren, war höchstens sechzig Zentimeter breit. Im gesamten Schiff
roch es nach Turnhalle, muffig und holzig. Zügig stopfte er seine Tasche in ein
Fach und legte seine dicke Segeljacke, die er auf Anraten seiner Eltern mitgenommen
hatte, in die untere, äußere Koje.
„Alle wieder da? Schön.“, grinste Andreas und öffnete eine weitere der dunklen
Holztüren. „Das hier ist eine der drei an Bord befindlichen Toiletten. Die beiden
Klos hier unten sind Pumptoiletten aus einem russischen U-Boot. Sie
funktionieren nach dem Vakuumprinzip.“
Behände verdeutlichte er ihnen deren Funktionsweise.
„Hahn öffnen, wenn ihr erledigt habt, weswegen ihr gekommen seid.“ Er grinste.
„Pumpen, um mit Wasser zu spülen, Hahn zu, pumpen, um das Vakuum zu
erzeugen, Hahn wieder auf, Wasser nachpumpen und fertig.“
Lautes Quietschen erfüllte den Rumpf, während er angestrengt von Hand
pumpte.
„Die Dinger sind gute vierzig Jahre alt. Gemacht für die Ewigkeit sozusagen. Und
wie ihr festgestellt habt, machen sie einen Höllenlärm, weshalb sie nur am Tage
benutzt werden dürfen. Für diejenigen, denen das jetzt zu schnell war, hängt hier
eine Bedienungsanleitung. Die kann dann später sitzend sehr schön studiert
werden. So habt ihr immer was zu lesen.“
Jeder der Gruppe sah einmal neugierig in des kleine Kabuff, betrachtete die
bräunlichen Kacheln am Boden, die dicke Wandfarbe, das winzige Waschbecken,
nickte und trat wieder in den Gang hinaus.
Weitere Kammern, zwei Duschräume und das zweite Klo folgten, bis sie am zweiten
Niedergang, ungefähr mittig der Schiffslänge angekommen waren.
„Die Duschen sind Einzelduschen. Ihr dürft natürlich auch zu zweit oder zu dritt
duschen, gegenseitiges Einverständnis vorausgesetzt.“ Andreas wies auf eine kleine
Luke unter der Stahltreppe des Niedergangs. „Das ist die Dosenlast. Dort finden
11
sich jegliche Büchsen und Getränke und so weiter. Dort darf nur rein, wer den
Auftrag erhalten oder Backschaft hat, um Querfraß zu vermeiden.“
Claudia beugte sich zu Alexander und flüsterte: „Ich hasse Backschaft. Den
ganzen Tag in der Kombüse stehen, schwitzen wie ein Pferd und abwaschen.“
Er nickte verständnisvoll und fragte: „Querfraß?“
„Jeder bekommt hier das gleiche. Es soll niemand eigenständig da runter steigen
und sich über die Leckereien hermachen, ohne dass die anderen dasselbe
kriegen.“
Wieder nickte Alexander und widmete seine Aufmerksamkeit wieder Andreas.
Dieser stand inzwischen vor einer anderen Tür.
„Das hier ist die Kabine des Kapitäns. Betreten verboten. Und gegenüber, der Pumakäfig.
Die einzige Sechsbettkammer.“
„Und warum heißt sie Pumakäfig?“
„Wenn du drin schläfst, wirst du es wissen. Zum einen, weil der Raum schlecht
belüftet ist und zum anderen, schlafen dort meist die lautesten Schnarcher.
Warum, kann kein Mensch sagen. Das ist halt einfach so.“
Er zuckte mit den Schultern und ging weiter. Der Gang bog nach links, nach
Steuerbord. In der Ecke rechts standen eine Waschmaschine und ein Trockner.
„Na toll, und ich schlafe im Pumakäfig.“, hörte er eine junge Frau sagen, die ihm
schon am Flughafen aufgefallen war und die Monique hieß.
„Jetzt folgt der Tigergang. Hier findet ihr alle Gebrauchsgüter, wie Handtücher,
Bettwäsche, Putzutensilien und so weiter.“
Jeder verzichtete darauf zu fragen, woher dieser Gang seinen Namen hatte. An der
Seite, die Außen war, waren mannshohe Schränke eingelassen.
„Was ist hinter der anderen Wand?“
„Der Maschinenraum“, antwortete Andreas: „Der einzige Raum des Schiffes, der
mehrstöckig ist und nicht betreten werden darf. Nur nach ausdrücklicher Erlaubnis
des Maschinisten und dessen Assistenten.“
Er stapfte weiter zum nächsten Schott, das in einen ähnlich großen Raum führte
wie das Messelogis. Auch jener Raum lief spitz zu. Holzbänke liefen an der gesamten
Außenseite entlang, davor Tische aus poliertem, lackiertem Holz. In der
Mitte des Raumes erhob sich wieder ein Niedergang, der nach oben führte.
„In der Messe werdet ihr die meisten der Mahlzeiten einnehmen. Lebensmittelvorräte
befinden sich auch hier unter den Sitzflächen der Bänke.“
Er hob einen der Deckel hoch und Dutzende Tüten Mehl und Zucker kamen
zum Vorschein. Allgemeines Nicken folgte. Er trat vor die Treppe und zeigte auf
den Platz direkt daneben.
„Das ist der wichtigste Platz hier. Zum einen sitzt dort traditionell der Kapitän,
zum anderen ist unter diesem Platz in der Backskiste das Toilettenpapier
gelagert.“
Sie stiegen die Treppe hinauf und zwängten sich in den schmalen Gang, quer zur
Schiffsachse, an dessen Enden jeweils ein Schott ins Freie führte.

zauberin60 ( gelöscht )
Beiträge:

21.04.2006 23:49
#3 RE: Reise zu den Kanaren (Arbeitstitel) Antworten

12
„Das ist der Quergang. Backbord findet ihr das einzige Wasserspülklo und das
Hospital. Eigentlich ist es eine Zweimannkammer, die momentan von zwei Leuten
der Stammcrew belegt ist. Steuerbord sind die dritte Dusche und die Navigationskammer.
Achtern dann die Kombüse, wo ihr die Backschaft absolvieren
werdet. Das Lotsenklo und die Dusche hier oben dürfen rund um die Uhr
benutzt werden, da hier nur wenige schlafen und man ja auch nachts hin und
wieder Bedürfnisse haben soll.“
Sie begutachteten alle Räume, ein schmächtiger Junge, jünger als Alexander trat
durch die Luke des Maschinenraums.
„Kehrt Marsch!“, ertönte eine raue Stimme. Sie gehörte zu einem untersetzten
Mann in Cowboystiefeln, Lederhosen und gestreiftem Pullover. Er trug einen
schon grauen Vollbart und eine Ledermütze. „Das ist Sperrgebiet.“
„Darf ich euch Gerhard vorstellen. Der Maschinist auf dieser Reise.“
„Der Maschinenraum wird nicht selbständig betreten.“, setzte dieser sofort zu
einer Rede an: „Dort gibt es viele sich bewegende Teile, die plötzlich Radau machen
und euch verletzen können. Wenn ihr die Maschine besichtigen wollt,
meldet euch bei mir.“
Damit verschwand er in seinem Reich. Über dem Schott klebte ein roter Aufkleber,
auf dem zu lesen stand: Hall Of Fame.
„Das war’s. Wenn ihr noch fragen habt, stellt sie oder wartet einfach. Sie werden
sich schon klären.“
„Was passiert jetzt?“, fragte der schmächtige Junge. Sein Name war Heiko.
„Der Kapitän ist zu einem Essen mit anderen Kapitänen eingeladen. Also wird
heute nichts mehr passieren. Sicherheitseinweisung und dergleichen gibt es dann
morgen früh, vor dem Auslaufen. Schaut euch die Stadt an, genießt den letzten
Abend an Land. Trinkt ein Bier oder so. An Bord gibt es nämlich keinen Alkohol.
Alles klar?“
Er wandte sich um, griff in die Bauchtasche seines Pullovers und zuppelte einen
Beutel Tabak hervor.
„Ach ja, solltet ihr rauchen, nur draußen und nur auf dem Achterdeck. Das Holz
ist alt und trocken überall, also sehr feuerempfindlich. Ihr bekommt großen
Ärger, wenn ihr woanders raucht.“
„Eine Zigarette ist eine gute Idee.“, murmelte Claudia, fingerte ihrerseits nach
einer Schachtel Zigaretten und stieß Flo an. Beide stiegen durch das Schott und
lehnten sich in dem gut siebzig Zentimeter breiten Gang zwischen Schanzkleid
und Deckshaus an die Wand und rauchten. Unschlüssig folgte Alexander ihnen.
Gerade als er die Stimme heben wollte, um irgendetwas zu fragen, trat ein großer
Mann mit kurzen Haaren hinter dem Deckshaus hervor und zerrte zwei riesige,
blaue Müllsäcke hinter sich her. Er trug ein helles T-Shirt und kurze, zerschlissene
Hosen.
„Vorsicht. Geht ihr mal bitte aus dem Weg.“
Ohne zuzugreifen, traten sie beiseite und ließen ihn durch.
„Ich muss noch Zigaretten holen.“, fiel Claudia ein.
13
„Hast du dir keine am Flughafen geholt?“
„Hab ich nicht dran gedacht.“, verneinte sie.
„Aber da kosten sie doch nicht viel.“, warf Alexander ein.
„Ich hab dran gedacht.“, grinste Flo und schnippte seinen Zigarettenstummel ins
Wasser.
Claudia zuckte nur mit den Achseln.
„Kommt ihr nachher mit auf ein Bier?“
„Oder zwei.“
14
Root Beer
Die Dämmerung war hereingebrochen.
Der Hafen wurde von ordentlich aufgereihten Laternen beleuchtet und die Schiffe
von bordeigenen Scheinwerfern, welche die Masten und das gesamte Rigg vorteilhaft
in romantisch weiches Licht tauchten.
Alexander starrte gedankenversunken in das ruhig vor sich hin glucksende
Wasser. Nach dem Rundgang hatte er sich im kleinen Bordshop ein Basecap gekauft,
da er seine für die Reise besorgte Schirmmütze daheim vergessen hatte. Sie
sollte sein kinnlanges braunes Haar bei heftigen Winden aus dem Gesicht halten.
Warum er die Mütze schon jetzt gekauft hatte, wusste er nicht genau. Vielleicht,
um sich endlich heimischer zu fühlen, damit sein Magen Ruhe gab.
Er fühlte sich in fremden Umgebungen stets unwohl und brauchte meist sehr
lang, um sich mit den neuen Umständen zurecht zu finden und wohl zu fühlen.
Die ganze Fahrt und den ganzen Flug über hatte er sich nicht gut gefühlt, wäre
am liebsten umgekehrt, nur um sich wieder besser zu fühlen. Obwohl er sich mit
dieser Reise einen enorm großen Wunsch erfüllte, wollte er eigentlich nicht mehr
an Bord sein, sondern es sich bei seinen Freunden, seiner Familie, in seiner Welt
bequem machen. Angst vor Neuem. Scheiß auf den Traum. Ihm ging es nicht gut.
Und sein Magen machte ihn auch in aller Deutlichkeit darauf aufmerksam. Aber
nun war er hier und es galt, sich möglichst schnell mit der Situation abfinden
oder die fünf Wochen, die die Reise dauern sollte, würden wirklich lang werden.
Ironisch lachte er auf. Just, nachdem er das Basecap aufgesetzt und ruhelos
über die Gangway zum Kai gelaufen war, hatte ihn ein Kanadier angesprochen, ob
15
er denn nicht in dem Heft mit den Stempeln und Bildern unterschreiben könne.
So hatte er seine Unterschrift unter das Bild der ROALD AMUNDSEN gesetzt, aber die
Freude des Einheimischen nicht ganz nachvollziehen können. Nun ja. Immerhin
hatte jetzt irgendein Kanadier ein Autogramm von ihm. Auch anderen war das
passiert.
Als er vor knapp zwei Monaten den Namen des Schiffes das erste Mal gehört
hatte, fand er nicht, dass ROALD AMUNDSEN ein Name war, mit dem man sich gern
identifizieren wollte. Er klang nicht gut.
„Fertig?“
Claudia stand vor ihm und grinste lebhaft. Sie strahlte eine Freude und Energie
aus, um die Alexander sie beneidete. Er war keiner derjenigen, die an allem Freude
finden konnten, die sich Hals über Kopf in ein unbekanntes Unternehmen
stürzten. Claudia jedoch schien solch ein Mensch zu sein.
Auch er hatte sich ohne groß zu überlegen in dieses Abenteuer gestürzt und nun
ging es ihm wirklich dreckig.
Unsicher drehte er die Mütze in den Händen.
Ein etwas größerer, breiterer junger Mann mit Brille namens Rainer gesellte sich
zu ihnen und noch drei andere. Flo, ein Riese namens Christian, der schon den
ganzen Tag, auch schon, als sie in Magdeburg gestartet waren vor einer Ewigkeit,
eine Matrosenmütze trug und dessen Freundin Jana. Alexander teilte die Kammer
mit den dreien.
„Gehen wir?“
Dem Nicken folgte der Aufbruch in die Nacht. Bevor sie sich für eine Bar entschieden,
hatten sie beschlossen, sich die großen Segelschiffe von Nahem zu betrachten,
also schlenderten sie den hölzernen, noch nicht sehr alten Kai entlang,
den Blick fasziniert auf die Boliden der Segelschifffahrt gerichtet.
Das erste Schiff war die Bark EUROPA. Sie war größer als die ROALD, zumindest ragte
ihr Rumpf weiter aus dem Wasser. Das nächste Segelschiff war die MIR, ein
russisches Segelschiff, dessen deutlich größerer Rumpf an einem breiten blauen
Streifen entlang der Außenwand zu erkennen war. Danach folgte ein altertümlicher
aussehendes Schiff, das nach dem Mann benannt war, nach dem angeblich
der von Kolumbus entdeckte Kontinent benannt worden sein soll. AMERIGO
VESPUCCI.
„Die sollen sogar einen kleinen Kräutergarten und Hühner auf dem Achterdeck
haben.“, behauptete jemand aus der Gruppe.
Neugierig reckte Alexander den Hals, konnte aber nichts dergleichen entdecken.
Er war den ganzen Weg über sehr schweigsam, wusste er doch nicht, worüber er
mit den anderen reden sollten, da sie erst vor wenigen Stunden kennengelernt
hatte.
Er war als Ersatz für einen anderen zu der Reisegruppe gestoßen, die sich untereinander
schon kannte. Einige von ihnen hatten bereits kürzere Törns auf der
ROALD erlebt.
16
Sie wanderten an Unterhaltungsbuden vorbei, kleineren Bühnen, wo noch immer
Programme dargeboten wurden. Die Kais waren trotz später Stunde noch gut besucht,
viele kleine Kinder rannten mit Luftballons und Piratenkostümen durch
die Gegend.
Allmählich taten ihnen die Füße weh. Also beschlossen sie, zurück zu kehren und
in einer Bar Platz zu nehmen.
Mehrere Biergärten waren am Hafen errichtet worden, gut besucht von fröhlichen
Gästen.
Sie fanden recht schnell ein Lokal, dass ihnen zusagte und steuerten den Eingang
an, wo sie von einem uniformierten Mann des hiesigen Sicherheitsdienstes aufgefordert
wurden, ihren Ausweis vorzuzeigen.
„Wieso denn das?“, fragte Rainer in englischer Sprache.
„Sie müssen in Kanada über einundzwanzig sein, sonst dürfen sie keinen Alkohol
verzehren.“, war die freundliche, aber bestimmte Antwort. Zur Unterstreichung
kam noch ein zweiter Sicherheitsmann hinzu und baute sich kraft seines breiten
Kreuzes vor dem Eingang auf.
Alle bis auf Claudia und Alexander hatten ein Ausweisdokument bei sich. Die
beiden jedoch hatten ihren Ausweis bereits an Bord abgegeben, wo sie für eventuelle
Zollfragen aufbewahrt wurden.
Ratlos stand die kleine Gruppe vor dem Lokal und beratschlagte.
„Holt doch eure Ausweise.“
„Das ist doch so weit und dauert sicher ewig. Bis wir durch die Massen durch
sind...“, warf Alexander ein.
„Stimmt auch wieder.“
Unruhe machte sich breit und so beschloss Claudia: „Okay, wir gehen zurück, holen
die Pässe und ihr geht schon mal rein.“
Alexander und Claudia verabschiedeten sich und der Rest kehrte gutgelaunt in
die Schenke ein.
Die ROALD war beinahe menschenleer. Vor der anstehenden langen Reise waren
sie alle noch einmal Landluft schnuppern gegangen, die letzten Dinge besorgen,
ein letztes kühles Getränk zu sich nehmend.
Nur Jürgen, einer der Steuermänner war noch an Bord. Angeregt unterhielt er
sich mit der Jüngsten an Bord, eine junge Frau, erst sechzehn Jahre alt. Sie lachten
herzhaft, als Claudia ihn wegen der Pässe ansprach.
„O’ das tut mir leid. Die sind eingeschlossen und ich hab keinen Schlüssel.“
Jürgen hatte ein gütiges, zutrauliches Gesicht und war von sehr kräftiger Statur.
Von den letzten Stunden wusste Alexander, dass Jürgen fast immer zu lächeln
schien. Und das, obwohl er schon über fünfzig Jahre alt sein musste.
„Wasmachen wir denn jetzt?“
„Ich könnte euch solche farbigen Armbänder geben, damit kam man gestern
überall rein, aber die sind heute eigentlich nicht mehr gültig. Versuchen könntet
ihr es aber doch.“
17
Er reichte ihnen gleich einen ganzen Stoß gelber Plastikarmbänder mit Einmalverschluss,
wie sie auch auf Musikfestivals benutzt wurden.
Ein wenig verdrießlicher Stimmung verließen die beiden die ROALD wieder und
strebten zurück gen Hafenmeile.
„Weißt du, eigentlich habe ich gar keine Lust, zurück zu gehen und was zu trinken.“
Alexander atmete erleichtert auf. Obwohl sie alle sehr sympathisch waren und
sich Mühe gaben, ihn zu integrieren, hatte er dem Charme der Gruppe bisher unwillkürlich
widerstanden. Ihm war nicht nach Feiern. Dazu war er einfach nicht
ausgelassen genug.
„Was dann?“
„Lass uns meine Zigaretten holen.“
Zustimmend nickte er und sie schlugen den Weg in die auf einer Anhöhe
liegenden Innenstadt ein.
„Guck dir die Leute an. Soviel ist bei uns nie los.“
„Liegt vielleicht daran, dass auf der Elbe keine sehenswerten Schiffe fahren.“
„Wasmachst du so?“, fragte sie, während sie den Hafen hinter sich ließen.
„Ich studiere.“
„Und was?“
„Im Moment? Soziologie, Pädagogik und...“ Er tat so, als müsse er nachdenken.
Ihm schien es lustig, wenn man solch existenzielle Sachen vergaß. „Ach ja, Psychologie.“
Sie lachte tatsächlich: „Klingt interessant.“
„Nicht wirklich. Es macht keinen Spaß und ich ziehe herzlich wenig aus den Vorlesungen.
Weißt du, wenn man die Veranstaltungen auf das wirklich wichtige
einstampfen würde, kämen pro Tag nicht mehr als zehn Minuten heraus. Und
du.“
„Ich studiere Sprecherziehung.“
„Was genau...?“
Sie fuhr fort, als hätte sie die Frage erwartet: „Dabei geht es nicht in erster Linie
um die Sprache sondern um das Sprechen, das richtige Atmen und so weiter.“
„Ich wusste gar nicht, dass es so etwas gibt.“
„Ach, es gibt so viel...“, seufzte sie in die Nacht.
Sie warteten an einem Fußgängerübergang. Ein Polizist mit breitkrempigem Hut
und dunkler Uniform stand bereit, um die Autos anzuhalten, damit sie über die
Straße gehen konnten. Alexander sah an anderen Kreuzungen weitere solche Beamte.
„Weißt du, ich war noch klein, als es die DDR noch gab, aber ich habe mir das Ausland,
ganz besonders Amerika immer ganz anders vorgestellt.“
„Wie denn?“, fragte sie und schaute interessiert in die Auslagen eines Kiosks.
„Anders als Zuhause. Aber die Häuser sehen nicht anders aus als in Braunschweig
oder Hannover. Man kann hier sogar dieselben Sachen kaufen.“
Sie nickte und quiekte auf: „O’ Root Beer.“
18
„Was?“
„Root Beer. Kennst du das nicht.“
Gehört hatte er schon davon, vornehmlich in amerikanischen Fernsehserien, aber
getrunken hatte er noch keins.
Sie kaufte zwei Dosen und sie gingen weiter.
„Das ist eine Limonade, so eine Art Kontinentalgetränk.“
Feixend überquerten sie eine weitere Strasse und betraten einen Tabakladen. Dort
gab es nur wenig Auswahl und die Preise glichen eher denen eines Kleinwagens,
denn einer Stange Zigaretten, wie Alexander fand.
Claudia kaufte zwei blaue Schachteln einer unbekannten Davide und sie gingen
wieder zurück zum Hafen. Dort ließen sie sich auf einer hölzernen Barriere nieder,
ein wenig abseits der Menschenmassen.
„Prost.“
Er nahm einen Schluck und hustete. Ihr erging es ganz ähnlich.
„Ist ja widerlich. Das Zeug, womit meine Oma sich einreibt, riecht genauso.
Franzbranntwein, glaube ich.“
„Du hast recht.“
Sie stellten die Dosen beiseite und starrten eine Weile schweigend vor sich hin.
Während Alexander sich seinen Pullover überzog, den er bisher um die Hüfte gebunden
hatte, entzündete sie sich eine Zigarette.
„Du bist sehr ruhig, oder?, stellte sie fest.
Unwillig nickte er: „Na ja, meine Sozialkompetenz ist ein wenig verkümmert,
könnte man sagen.“
„Und warum bist du dann hier?“
„So genau weiß ich das auch nicht. Zum einen, weil es ein Traum ist, Jahre alt.
Zum anderen, weil ich einfach weg wollte. Weg von Magdeburg, weg von den
Menschen dort, weg von meinem Leben.“
„Meinst du, du findest hier etwas anderes?“
„Vielleicht nicht. Aber ich habe eine Pause. Und Sie, junge Frau, was machen sie
hier, am anderen Arsch der Welt?“
„Segeln. Vor vier Jahren habe ich erfahren, dass der Verein, dem das Schiff gehört,
bei dieser Regatta mitmacht. Da habe ich mich sofort angemeldet.“
„Rennst du auch vor etwas davon?“
„Nein. Ich weiß, was ich Zuhause habe. Und ich weiß, es wird noch da sein, wenn
ich wiederkomme.“
Gedankenversunken lächelte sie.
„Ist es schwer, auf der ROALD zu segeln?“
Sie schüttelte leichtfertig den Kopf.
„Es ist ganz schön eng an Bord.“, gab Alexander zu bedenken.
„Das scheint nur so. Man gewöhnt sich schnell daran.“
Das hoffte er. Zeit seines Lebens hatte er immer seine Freiräume gebraucht. Erst
recht in den letzten Jahren. Zu einem Einsiedler hatte er sich entwickelt, der
allein nach Rügen fuhr, nur um das Meer zu sehen, tagelang kein Wort zu reden
19
und die Stille zu genießen. Ob ihm das auch an Bord der ROALD gelingen würde?
Er bezweifelte das immer mehr und sein Unwohlsein steigerte sich. Sein Magen
schmerzte.
Die Nacht war traumhaft schön. Das hatte er schon immer gefunden. Aber
diese war besonders schön. Ein milder Wind wehte vom Meer heran, trug den
Duft des Wassers aufs Land und verhieß einen weiteren wundervollen Tag.
20

zauberin60 ( gelöscht )
Beiträge:

21.04.2006 23:50
#4 RE: Reise zu den Kanaren (Arbeitstitel) Antworten

20
Aufbruch
Alexander hatte nicht besonders gut geschlafen, noch konnte er am Morgen etwas
essen. Die Brötchen waren seltsam klein und fest, die Messe voll besetzt und
er noch immer nicht Herr seinerselbst.
Mit seiner Tasse Kaffee zog er sich aufs Achterdeck zurück, doch auch dort tummelten
sich fremde Crewmitglieder. Er nickte ihnen nur zu und starrte fest auf
das spiegelnde Wasser.
Der ROALD gegenüber, an einem weiteren Quersteg, lag ein ziemlich altertümlich
aussehendes Schiff, sehr ähnlich der historischen H.M.S. VICTORY. Der hölzerne
Rumpf war gelb und schwarz gestrichen und alle anderthalb Meter prangte eine
Kanonenluke im Rumpf. Das Rigg war alt, aber gepflegt. Wie aus einem Piratenfilm
schien das Schiff in diesen Hafen gezaubert worden zu sein. Einen Steg weiter
lag das Schulschiff der amerikanischen Coast Guard. Es war ein Schwesterschiff
der GORCH FOCK Deutschlands gewesen, welche als Reparationszahlung nach
dem Krieg an die USA übergeben worden war. Genauso wie die SEDOV an die
Russen.
„All Hands an Deck!“ schrie jemand vom Mittelschiff. Sofort stellten alle ihre
Tassen auf die Mittelschiene des Schanzkleids und eilten nach vorn. Alexander
folgten ihnen.
Alle stellten sich in Hufeisenform auf, wobei drei der Anwesenden nach ihren
Wachen riefen.
„Wache Drei Steuerbord!“
21
„Wache Zwei vor den Großtopp!“, brüllte der Mann, der am vorherigen Tag den
Müll an ihnen vorbeigeschleppt hatte. Er trug einen orangefarbenen Overall aus
Jeansstoff ohne Ärmel. Alexander war schon beim ersten Mal aufgefallen, dass er
aussah, wie einer seiner Freunde, mit dem er jahrelang dem gemeinsamen Hobby
des Kinogehens gefrönt hatte. Und wieder einmal bestätigte sich seine Theorie,
dass es für sechs Milliarden Menschen maximal drei Milliarden Schnittmuster
gab.
Als alle mehr oder weniger geordnet standen und Ruhe eingekehrt war, erhob ein
kleiner Mann seine Stimme. Er war kleiner als Alexander, nicht besonders kräftig
und hatte ein freundliches Gesicht.
„Also, äh, ich bin kein besonders guter Redner. Aber das wird schon gehen. Ich
bin Karl, der Kapitän.“ Einige klatschten. „Ich stelle euch erst mal die Crew vor.“
Er wies auf einen älteren Herrn, mit Brille und Schiffermütze. „Das ist Hans-
Josef, der Steuermann der ersten Wache von null Uhr bis Vier und Zwölf bis
Sechzehn.“
Hans-Josef trat vor und winkte.
„Und das ist Marianne. Sie ist Steuerfrau der Wache Zwei, von Vier bis Acht und
Sechzehn bis zwanzig Uhr.“
Die Frau, die sie am gestrigen Tage empfangen hatte, trat vor. Ihre Ähnlichkeit
mit Jürgen war unübersehbar. Alexander hatte inzwischen erfahren, dass sie
dessen Tochter war. Wieder trug sie kurze Hosen.
„Und schließlich Jürgen, Steuermann der Wache Drei, von Acht bis Zwölf und
Zwanzig bis Mitternacht.“
Auch er winkte in die Runde und grinste schelmisch.
Der Vorstellung der restliche Crew ging rasch vonstatten. Danach wurde ihnen erklärt,
dass sie sich bei jedem Treffen so wachweise aufstellen sollten, wie sie es gerade
taten, um besser feststellen zu können, ob jemand fehlte. Man zeigte ihnen,
wie man die Rettungswesten anlegte und erzählte, dass es an Bord nur ein
einziges Alarmsignal gab. Sollte man es zu Gehör bekommen, habe man sich unverzüglich
mit Kleidung an Deck einzufinden. Sie ließen das Signal einmal zur
Kenntnisnahme ertönen, ein Pfeifen aus sieben kurzen und einem langen Ton.
Wenn sie es das nächste Mal hörten, würde es bereits der Ernstfall sein.
Ebenfalls eiligst an Deck zu erscheinen, hatte man, wenn es hieß: „All Hands an
Deck!“ Dann wurde nämlich tatsächlich jede Hand gebraucht, für besonders aufwendige
Segelmanöver etwa. Sich drücken galt nicht, denn eine Mannschaft
funktionierte auf See entweder als Ganzes oder gar nicht. Persönliche Befindlichkeiten
oder gar Differenzen hatten dann unter Deck zu bleiben.
Heiko, der schmächtige Junge, welcher gestern den Maschinenraum hatte
entern wollen, stürzte atemlos an Deck.
„Wo kommst du denn her?“, bellte ihn jemand an.
„Ich hab mir noch Postkarten gekauft.“, erklärte dieser verdutzt.
„Jetzt noch? Wir hätten eigentlich schon längst weg sein sollen. Was hättest du
dann gemacht?“
22
Er zuckte nur mit den Schultern und machte sich hinter den anderen klein.
„Okay. Wir werden in einer halben Stunde ablegen. Hört einfach auf das, was
man euch sagt, dann geht das schon. Für Erklärungen haben wir keine Zeit
mehr.“
Die Brückencrew zog sich ins Schiffsinnere zurück, während der Rest in
hektische Vorbereitungen ausbrach. Diejenigen, und das waren die meisten, die
wussten, was zu tun war, liefen hin und her, warfen sich Fender aus alten Autoreifen
und Gummiballons zu, holten die Gangway ein, wickelten Seile auf oder ab
und bewegten etwas auf dem Schiff. Ziel und Resultat des Ganzen war Alexander
zwar nicht klar, aber er fragte und half, wo er konnte.
Der Kapitän stand am Großtopp auf der vorderen Bank der Brücke, während
ein blonder Mann der Stammcrew am Ruder stand, und rief in schneller Folge.
„Achterleine los! Achterspring los! Standby an Vorleine und –spring! Ruder hart
Steuerbord! Maschine langsam zurück.“
Eben noch von der Schnelligkeit beeindruckt, zuckte Alexander heftig zusammen,
als neben ihm der Schornstein an Backbord Rauch spuckte und es unter dem
Deck zu dröhnen begann. Die Maschine arbeitete und die ROALD glitt mit dem
Heck langsam vom Steg weg.
„Vorleinen los!“
Ein Mitglied der Stammcrew, welcher jedoch das Land per Flugzeug verlassen
würde, hatte die Leinen am Kai losgeschmissen und winkte nun zum Abschied,
genau wie die vielen anderen Menschen, alle sommerlich gekleidet, die gekommen
waren an diesem Sonntag, um die Schiffe zu verabschieden.
Einige holten eiligst die Leinen, die noch im Wasser trieben, ein und verstauten
sie an den dafür vorgesehenen Haken und Plätzen.
„Ruder null. Maschine Viertel Zurück.“, sagte der Kapitän und Alexander, der
neben der Brücke stand, hörte in dessen Tonfall so etwas wie Vorfreude und Anspannung.
Nun war es soweit. Es ging los. Vom jetzigen Moment an würden sie für Wochen
kein Land mehr betreten, auf ihrer langen Reise quer über den Atlantik.
Abenteuer hing als verlockender Duft in der Luft, er verhieß Spannung und unerwartete
Dinge. Dinge, die Alexander noch nie erlebt hatte. Dinge, wegen denen
er aufgebrochen war, eine Reise zu unternehmen mit Menschen, die er nicht
kannte. Es war eine Art Freude, die ihn ergriff, eine Freude, die nur wirklich freie
Menschen verstehen würden. Eine Freude, gepaart mit dem gehörigen Maß an
Angst und Zagen, der Geschehnisse wegen, die da kommen mögen.
„Ruder Backbord! Maschine Viertel Voraus.“
Die ROALD reihte sich in die lange Schlange der majestätischen Riesen ein, welche
zum Ende des Hafens und wieder zurückfuhren, um den Leuten, die daheim
geblieben waren und sie nun wegfahren sahen, eine köstliche Parade zu bieten.
Die Sonne stand inzwischen hoch am Himmel, entspann ihr Netz aus Wärme
und bescherte ihnen einen Abschied, wie er hätte nicht schöner sein können. Die
ROALD entschwand dem Land.
23
Kruzenstern
„Dann lasst uns den Leuten an Land mal was bieten.“, rief Karl übers Deck:
„Klar machen zum Setzen von Vorstengestag und Innenklüver!“
Alexander war noch immer mit dem Aufwickeln der Achterleine beschäftigt, nach
der Anleitung des Mannes, der ihn durchs Schiff geführt hatte. Andreas grinste
die ganze Zeit und riss einen Witz nach dem anderen. Ihm schien es gut zu gehen.
Alexander jedoch war noch immer von seinem Unwohlsein gepeinigt. Ganz hintergründig
überschattete es alles, was er erfuhr.
Als er fertig war, standen die Vorsegel bereits im Wind.
„Klar zum Setzen der Untermarsen!“
„Aye.“, ertönte es von irgendwoher und schon teilte sich die Gruppe an Bord in
zwei kleinere. Die erste begab sich zum Vortopp, dem vorderen Mast, die andere
zum Großtopp, dem hinteren Mast.
Michael, Toppsgast der zweiten Wache, winkte einige Unschlüssige zu sich nach
vorn und stellte sie an verschiedene Seile, die auf Holznägeln auf sogenannten
Nagelbänken am Schanzkleid und um die Masten, befestigt waren.
Mehrere Deckshands, Mitglieder der Stammcrew und die rechten Hände der
Toppsgasten, halfen ihnen und sagten, wann sie zu tun hatten, was der Toppsgast
ihnen zurief.
„An die Schoten, klar bei Geitauen und Gordingen!“, brüllte Michael gegen die
leichten Wind.
Er sah zum Kapitän, der nickte, und Michael rief wieder: „Holt durch die Schoten,
fiert auf Geitaue und Gordinge!“
24
Ein Rauschen ertönte und das Segel an der zweiten Rah von unten im Vortopp
bauschte sich im Wind. Was für ein bewegender Anblick.
Ein kleinerer Mann, dunkle Haare und noch dunklere Augen, brüllte ganz ähnliches
der Mannschaft des Großtopps zu und knapp eine Stunde später waren fast
alle Segeln inklusive der Vorsegel gesetzt.
„Maschine aus!“
„Maschine aus.“, wiederholte Jürgen, wie schon die ganze Zeit über und bewegte
den Hebel des Maschinentelegraphen, welcher die Kommandos in den Maschinenraum
übertrug. Der Lärm des 300 PS Motors verebbte und es war nur
noch das sanfte Rauschen der Segel und das Plätschern des Wassers am Rumpf zu
hören.
„...Nur mit der Kraft des Windes.“, zitierte Alexander vor sich hin.
Sabine kletterte eine der drei Leitern des hinteren Deckshauses empor, lehnte
sich lässig an den Baum des Briggsegels und schoss ein Photo.
Hinter der ROALD hatte die EUROPA sich in die Parade eingereiht und auch in ihrem
Rigg blähten sich die Segel zu feinen Bäuchen. Wie gemalt.
„Beeindruckend, nicht wahr?“, fragte sie Alexander, der sich zu ihr gesellt hatte.
„Ja.“, antwortete er kurz und bündig und die Spiegelreflexkamera seines Vaters
klickte. Sie war alt, aber machte wunderbare Photos.
Hintenan war die EENDRACHT zu sehen, ein Gaffelschoner. Ihr blauer Rumpf hob
sich kaum von Wasser ab. Weiter vorn waren die KRUZENSTERN und die SEDOV, direkt
vor ihnen ein Schiff namens ESMERALDA.
Ohne dass sie es bemerkte, betrachtete Alexander die junge Frau. Sie war Mitte,
Ende Zwanzig vielleicht, hatte dunkelbraunes, lockiges Haar, welches ihr beharrlich
in die Stirn fiel und ein hübsches Lächeln. Sie hatte ein Gesicht, das
nicht zum Traurigsein geschaffen war. Schon am vorherigen Tag hatte er bemerkt,
dass sie viel Fröhlichkeit ausstrahlte.
„Wasmachen wir jetzt?“, fragte er sie.
„Warten.“, war ihre Antwort.
Enttäuscht hob er die Augenbrauen. Warten. Worauf denn? Er hatte seit gut
einer halben Stunde nichts mehr getan und kam sich mittlerweile irgendwie überflüssig
vor. Auch die anderen genossen einfach nur den Ausblick.
„Dürfen wir überhaupt hier oben sein?“
Sie grinste ihn an: „Wir dürfen überall sein.“
„Beinahe überall.“
Sie nickte und ließ ihren Blick wieder über das Wasser schweifen.
Schiff um Schiff gesellte sich in den Reigen aus bunten Fahrzeugen. Alle glitten
sie ruhig und gänzlich ohne die Hektik der Welt, fast unberührt, durch das ruhige
Wasser, begleitet von ferner Musik, die aus Festzelten vom Land herüberwehte.
„Ich wette, es gibt eine Menge Leute, die wünschten, jetzt an unserer Stelle zu
sein.“, flüsterte sie.
„Meinst du?“
Fragend sah sie ihn an und verstand nicht. „Meinst du nicht?“
25
Damit ging sie und Alexander folgte ihr wenig später zurück aufs Deck zu den
anderen.
Flo lief ihm über den Weg. Er trug ein T-Shirt mit der Aufschrift ‚Titanic 1912’:
„Eine rauchen?“, fragte er.
Alexander nickte.
Beide sahen sie schweigend eine Weile zum Ufer, das dem Hafen gegenüberlag in
der Bucht. Die Hänge der Böschung, welche ins Wasser führte, waren übersät mit
Menschen. Dicht an dicht drängten sie sich, um die Segler zu begutachten, sicher
zahllose Photos zu schießen und sie in ihrem Leben nie wieder zu betrachten.
„Sieht aus wie Müllberge.“, platzte es trocken aus Alexander heraus.
Flo lachte in sich hinein und nickte wissend: „Menschlicher Müll.“
„Da wünscht man sich doch wieder eine Zeit fern des Recyclings.“
Sie verstanden sich.
Die Zeit verging und die ROALD hatte inzwischen den Hafen verlassen und näherte
sich der Startlinie, die durch ein Schiff der Marine und ein rotgestrichenes
Schiff markiert wurde. Durch geschicktes Navigieren hatten es Marianne und die
anderen beiden Steuerleute geschafft, die ROALD sehr nahe an der Startlinie zu
platzieren, eine Viertelstunde vor dem offiziellen Startfenster. Jedes Schiff hatte
einen Zeitraum von gut zwei Stunden gesetzt bekommen, in dem es die Linie
überfahren musste.
Ein massiges viermotoriges Flugzeug des Kanadischen Militärs donnerte in niedriger
Höhe über sie hinweg, umrundete jedes einzelne Segelschiff. Begeistert
winkten einige.
Andreas erzählte in die Runde, dass auch kleinere Schiffe, Segelyachten und
ähnliche, an der Regatta teilnahmen und einer der Skipper bei einer früheren Regatta
nach einigen Stunden wieder umkehren musste, weil er sich einen Zahn
abgebrochen hatte. Und auf See war kein Arzt zu erreichen.
„Und was passiert dann?“
„Nichts. Er startete mit vierundzwanzig Stunden Verspätung. Und wurde natürlich
nicht Erster. Aber das ist auch nicht wichtig.“
Ein Schuss ertönte, donnerte hallartig über das Wasser. Die Fregatte der Marine
hatte das Startsignal gegeben. Fast zeitgleich überquerte die ROALD als erste die fiktive
Linie zwischen den beiden Startschiffen. Frohsinn und Gelöstheit machten
sich breit, als plötzlich jemand aufgeregt nach Achtern zeigte, wo sich das riesige
Rigg der KRUZENSTERN mächtig in den Himmel erhob. Keiner hatte sie kommen sehen
und augenscheinlich hielten die Russen genau Kurs auf die ROALD. Hektik
brach an Bord aus. Karl, der Kapitän, rief lauthals nach Fendern, woraufhin
einige die eben verstaute Reifen wieder hervorholten und Steuerbord vor das
Schanzkleid hängten.
„Ruder hart Backbord! Mach, mach!”
Das Signalhorn wurde betätigt, Jürgen hechtete in die Navigationskammer, um
über Funk Kontakt aufzunehmen, da die Russen offenbar nicht reagierten.
26
Der Klüverbaum tastete den Horizont langsam Richtung Backbord ab, aber eine
merkliche Kursänderung war nicht zu erkennen.
„Der Wind ist zu schwach! Wir haben nicht genug Vortrieb.“, rief Micha zur
Brücke, wo Karl von einer Bank zur anderen sprang.
Schneller als man es von so einem großen Schiff erwarten würde, näherte sich die
KRUZENSTERN und erst jetzt nahm Alexander den beeindruckenden Größenunterschied
wahr. Die KRUZENSTERN war doppelt so hoch wie sein Schiff.
Karl wurde bleich und gab schnelle, aber ruhige Anweisungen.
„Richtung beibehalten, Fender mehr achtern, festzeisern und dann Hände hinter
das Schanzkleid! Kathleen, weg da! Reagieren die Russen?“
Hinter dem Fenster der Navigationskammer schüttelte Jürgen den Kopf.
„Noch mal das Signalhorn!“
Karl hatte sich gut im Griff, wenngleich Alexander die Situation gar nicht richtig
wahrnahm. Ihm war nicht klar, was passieren konnte, wenn die Schiffe
kollidierten, denn darauf schien es hinauszulaufen.
Die Spannung an Bord dehnte die Sekunden, ließ jeden Meter, den die
KRUZENSTERN aufholte, eine Ewigkeit lang erscheinen. Bald würden sie wissen, ob
die Ruderwirkung beider Schiffe groß genug war.
Alexander konnte nun ganz deutlich die Menschen an Bord des großen Schiffes
wahrnehmen. Auch die Russen hatten Fender außenbords gehängt, jedoch
blieben sie ruhig an der Rehling stehen, um sich das Schauspiel von oben zu betrachten,
während sich die Mannschaft der ROALD nach Backbord, weg von der Seite,
von der die KRUZENSTERN kam, zurückzog.
Als sie unter vollen Segeln die ROALD passierte, trennten die beiden Schiffe
nurmehr fünf Meter. Das war nicht viel auf See. Gelassen, wie die Königin der
Meere, glitt sie an der kleineren Brigg vorbei, als nähme sie diese vor dem Rennen
noch einmal spöttisch in Augenschein, als wolle sie demonstrieren, dass sie und
nur sie diesen Ozean befahren durfte.
Bald schon war sie jedoch weit vor der ROALD und die Mannschaft beruhigte sich.
Es war nichts passiert. Und auch Alexander erwachte langsam aus seiner starren
Teilnahmslosigkeit. Was war hier gerade geschehen? Er hatte gar nicht richtig
wahrgenommen, dass seine Reise beinahe schon beendet war, bevor sie begonnen
hatte. Er hatte nur fasziniert auf den riesigen schwarzen Rumpf gestarrt,
alle Feinheiten und Details betrachtet, die Bullaugen, die Dellen, den Rost, die
Schrift am Heck, und sich nicht gerührt.
„Wieder zurück auf alten Kurs! Fender einholen und verstauen. Ihr habt schnell
reagiert, vielen Dank.“
„Die haben sich vorbei gedrängelt.“, entfuhr es der entgeisterten Marianne. Sie
war stolz auf ihre geschickte Navigation zur Startlinie gewesen.
„Warum ist die soviel schneller als wir?“, wandte sich Alexander an den neben
ihm stehenden Andreas.
„Die hat viertausend Quadratmeter Segelfläche, wir nur achthundert. Außerdem
erzählt man sich, dass die Russen gern auch mit Unterwassersegel fahren.“
27
„Unterwassersegel?“
„Motorkraft.“, ergänzte Flo.
„Warum haben wir unseren nicht benutzt, um auszuweichen?“
„Weil sonst die Regatta zu Ende wäre. Man wird disqualifiziert, wenn die Maschine
zwischen Start und Ziel benutzt wird.“, antwortete Andreas und drehte sich
eine Zigarette.
„Das kann man doch nicht nachprüfen, oder?“
„Hey, wenn wir schon fahren, dann ehrlich.“
Wir bewegen uns nur mit der Kraft des Windes, geisterte es durch Alexanders
Kopf.
...Nur der Wind.

zauberin60 ( gelöscht )
Beiträge:

22.04.2006 22:53
#5 RE: Reise zu den Kanaren (Arbeitstitel) Antworten

28
Unterricht
Wenig später erhielten sie ihre Gurte. Dabei handelte es sich um Klettergurte,
die um die Hüften geschnallt wurden. Vorn war ein Zeiser mit eingespleißtem Karabinerhaken
befestigt, mit welcher man sich im Rigg zu sichern hatte, um nicht
abzustürzen, wenn man mit beiden Händen arbeitete.
Alle drei Wachen hatten sich gruppenweise an verschiedenen Plätzen des Schiffes
zusammengefunden, um die ersten wichtigen Dinge zu besprechen.
Michael hatte die Wache zwei mittschiffs versammelt. Die ROALD war eins der
wenigen Schiffe, die keinen großen mittleren Decksaufbau hatten, sondern nur
einen überdachten Niedergang. Das ermöglichte ein sehr übersichtliches Deck,
dessen Holzgrund jetzt als Tafel für bildliche Darstellungen diente, welche Michael
mit Kreide zu zeichnen beabsichtigte. Ziemlich genau in der Mitte des Decks
ragte ein runder Klotz auf, der Gangspill genannt wurde, und zum Heben oder
Bewegen schwerer Lasten diente. Seitlich konnte man sechs Holzspaken einstecken,
an denen dann die Besatzungsmitglieder mittels ihres Gewichtes das Gangspill
in Bewegung setzten.
„Noch einmal kurz die Vorstellung“, begann er: „Ich bin Michael, ihr könnt
Micha zu mir sagen. Ich werde für die Dauer der Reise euer Toppsgast sein, das
heißt der Wachführer, ich bin normalerweise der, welcher euch sagt, was ihr wann
zu tun habt. Meine drei Deckshands sind Sabine, Corinna und Andreas.“
Sabine grinste in die Runde, sie hatte mit den meisten schon gesprochen. Corinna
grüßte sie mit einem leisen „Hallo.“ Und sah wieder zu Boden, wie sie es die
29
meiste Zeit tat. Sie war offenbar ein recht stiller Mensch. Sie trug eine Brille und
eine Kurzhaarfrisur.
Andreas nickte nur lässig.
„Unsere Wache beginnt um vier Uhr morgens, Wecken wird gegen halb vier sein.
Ihr habt euch bitte pünktlich und in voller Montur, dazu gehört auch der Gurt,
an Deck einzufinden.
Ganz allgemein gilt, bei jedem Treffen bitte so aufstellen, wie ihr es heute morgen
getan habt, so behalte ich den Überblick. An Deck wird nicht gesprungen, nicht
gelaufen, aus Sicherheitsgründen und weil unter Deck immer jemand schläft. Das
Schanzkleid wird nicht betreten. Gefrühstückt wird nach der Morgenwache, Mittag
um zwölf, Abendessen gibt es in zwei Schichten gegen halb sieben. Alles klar?“
Allgemeines Nicken.
„Steuerbord ist in Fahrtrichtung rechts, Backbord links. Auch wenn ihr achtern
blickt, ist Steuerbord immer noch an derselben Seite. So ist immer gewährleistet,
dass ihr wisst, welche Seite gemeint ist. Der Bug ist vorn, Achtern ist hinten.“
Wie eine Stewardess deutete er scherzhaft in die entsprechenden Richtungen.
„Der Gurt schützt euer Leben. Ihr werdet euch immer festhaken, sobald ihr die
Fußpferde einer Rah betretet.“
„Was sind Fußpferde?“
„Das werde ich euch erklären, wenn wir aufentern. Das wird allerdings erst
morgen sein. Damit ihr ein Gefühl für den Gurt bekommt, werden ihn mal testen.“,
entgegnete Micha.
Er trat an den vorderen Mastgarten. Das war der Deckbereich um den Mast, welcher
vollständig von Nagelbänken umgeben war, wo sämtliche vom Vortopp herablaufenden
Seile befestigt waren.
Er stellte sich auf eine der Bänke, und befestigte die Öse seines Gurtes um das
Großstengestag. Das war ein fünf Zentimeter dickes Stahlseil, welches am
Vortopp befestigt, den Großtopp stützte. Es lief schräg nach oben etwa zur Mitte
des hinteren Masts. Das Großstengestagsegel, das größte dreieckige Segel, war an
diesem Stag angeschlagen.
Micha sprang von der Bank und baumelte sitzend in seinem Gurtgeschirr. Triumphierend
grinste er und alles lachte, als er sich am Stag stieß, seiner beachtlichen
Größe wegen.
Nacheinander ließ er jeden dasselbe probieren, wobei alle sichtlich Spaß hatten.
Währenddessen hatte Alexander Zeit, sich die Mitglieder seiner Wache näher
zu betrachten. Andreas, Sabine, Claudia und Flo hatte er schon kennengelernt.
Zudem waren da noch Evelyn, eine sommersprossige Frau mit langen, gekräuselten
roten Haaren und Brille, Markus und David, zwei Brüder aus Hannover,
die verschiedener nicht hätten sein können. Markus hatte dunkle kurze Haare,
trug eine Brille, war selbstbewusst und interessiert, David trug ebenfalls eine
Brille, war aber blond, still und zurückhaltend. Und das Zwillingspärchen, Monique
und Heiko. Sie war sportlich und lebhaft, er etwas schüchtern und
schmächtig. Monique hatte aschblonde Haare und ein süßes Lächeln.
30
Nachdem alle in den Genuss der lebensrettenden Kletterübung gekommen
waren, ließen sie sich auf dem Boden nieder und Micha nahm Kreidestücken von
verschiedener Farbe zur Hand. Er zeichnete einen stilisierten Schiffsrumpf auf die
Planken aus Teakholz und schrieb ‚ROALD’ darunter. Dann vervollständigte er das
Gemälde mit den Masten und jeweils fünf Rahen, sowie sieben Stagen. Jede Stage
war ein dickes Drahtseil, welche die Masten vor einem Abknicken nach Achtern
schützten und gleichzeitig als Anschlag für ein Segel dienten. Dann zeichnete er
die Segel ein.
„Wir beginnen mit dem Klüverbaum. Das ist der Mast, der vom Bug aus nach
vorn zeigt. Die vier dort befestigten Segel heißen von vorn nach achtern: Jager,
Außenklüver, Innenklüver und Vorstengestag. Wenn ihr euch das jetzt noch nicht
genau merken könnt, macht das gar nichts. Im Laufe der Zeit werdet ihr lernen,
wo was wozu ist.“
Heiko kicherte und Evelyn flüsterte: „Gott sei Dank.“
„Im Vortopp, das ist der vordere Mast, heißen die Segel von unten nach oben:
Fock, Voruntermars, Vorobermars, Vorbram und Vorroyal. Im Großtopp, hinten,
heißen sie Groß, Untermars, Obermars, Bram und Royal. Bis auf die untersten
Segel und die Vorsilben heißen sie also gleich. Alles klar?“
Wiederum allgemeines Nicken, nur etwas zögerlicher.
Die Stagsegel zwischen den Masten, also die Dreiecke direkt über uns, heißen von
unten nach oben: Großstengestag, Bramstengestag und Royalstengestag. Die
beiden letzten benutzen wir nicht, weil sie momentan nicht angeschlagen sind. Sie
liegen in der Bootsmannslast.“
Micha ließ ihnen einige Minuten, sich die Zeichnung, anzusehen und fragte
vereinzelt, wo welches Segel sei. Die Trefferquote war für den Anfang gar nicht
schlecht.
Nachdem alle genügend Blicke zwischen Zeichnung und Wirklichkeit hatten
fliegen lassen, trat Micha an eine der Nagelbänke am Schanzkleid heran. Seine
Deckshands kümmerten sich derweil um andere Dinge und gingen ihren Beschäftigungen
nach.
„Diese Seile hier, von denen es ungefähr hundertsiebenundneunzig auf diesem
Schiff gibt, heißen Tampen, nicht Seile. Ich will das Wort nicht hören. Die
kleinen Seilchen, die hier überall zum Festzurren von allem Möglichen dienen,
nennen sich Zeiser.“
Er deutete auf einen Eimer aus Gummi, Pütz genannt, an dessen Henkel ein
Zeiser befestigt war.
„Die Tampen haben alle ihren angestammten Platz. Das bleibt bitte auch so, damit
man immer weiß, wo man hinlangen muss, um etwas bestimmtes zu erreichen.
Die Tampen werden auf eine ganz bestimmte Art und Weise an den Nagelbänken
befestigt. Man nennt das Aufschießen.“
Er löste einen Tampen und demonstrierte das Aufschießen, ohne wirklich hinzusehen.
Das war offenbar eine Bewegung, die irgendwann ins Blut überging.
31
„Welcher Tampen wofür ist, klären wir alles in den nächsten Tagen. Das geht
nicht alles auf einmal. Schließlich seid ihr hier im Urlaub, nicht bei der Armee.
Die Deckshands werden immer bei euch sein, sollten wir irgendwelche Manöver
fahren. Sie werden euch alles zeigen, bis ihr es von selbst wisst.“
Gelöstes Lachen machte sich breit. Micha verstand es gut, den Druck, alles gleich
und unbedingt zu können, von ihnen zu nehmen. Er war ein lustiger, sympathischer
Mensch, der den anderen Raum ließ, sie selbst zu sein. Die Anspannung
Alexanders wich allmählich.
32
Backschaft
Die Sonne stand nun hoch am Himmel. Der frische Wind, welcher sie am
Morgen noch freudig aus dem Hafen getrieben hatte, flaute ab. Das Schiff trieb
nur noch langsam vorwärts und die Hitze des wolkenlosen Tages drückte.
Es war gegen Mittag, als der Kapitän noch einmal ein ‚All Hands’ ausrief. Er hatte
eine riesige Karte bei sich, die er mit Hilfe drei Freiwilliger am Boden festhielt
und erklärte ihnen den eingeschlagen Kurs. Sie würden zu einem bestimmten Koordinatenpunkt
segeln müssen. Wenn sie diesen hinter sich hatten, konnten sie
auf einem selbstgewählten Kurs Richtung Osten gen Europa segeln. Karl erklärte,
dass sie etwas nördlicher der Titanic-Route segeln würden, etwa hundert Meilen
nördlicher, um die Winde dort auszunutzen.
Alexander hörte gar nicht richtig hin. Ihn interessierten der Kurs und ihre
momentane Platzierung nicht. Natürlich würde er alles tun, um mitzuhelfen, so
gut wie möglich zu sein, aber selbst der letzte Platz war für ihn gut genug. Er war
hier, um zu erleben, nicht um zu gewinnen.
Dann trat ein anderer Mann vor, der als der Verantwortliche für Versorgung
vorgestellt worden war, als Proviantmeister also. Er hieß ebenfalls Andreas,
weshalb man an seinen Namen das Kürzel seines Nachnamens hängte. Andreas
D. erklärte, dass jeder an Bord Backschaft machen müsse, das hieß einen Tag Küchendienst.
Die Reihenfolge war willkürlich gewählt worden.
„...wenn also die letzten dran waren, beginnt es wieder von vorn, wobei sich die
Küchenteams abwechseln. Heute werden Rainer, Rick und Alexander diejenigen
welchen sein.“
33
Die anderen johlten. Enttäuscht trottete Alexander hinter Andreas D. her.
Ihm war es gar nicht recht, gerade am ersten Tag schon wieder aus der Gruppe
gerissen zu werden. Dass gab ihm das Gefühl, sofort wieder fremd zu sein. Und
sein Unbehagen steigerte sich wieder.
Sie betraten die Kombüse, welche sich direkt über der Messe befand. Die Einrichtung
war aus gebürstetem Stahl. Direkt neben der Tür befand sich der Herd
mit sechs Kochstellen aus Steinplatten. Daneben war eine Anrichte mit darunter
liegenden Schränken für Schüsseln und ähnlichem. Ringsum, an der Deckshauswand
befanden sich ebenfalls Anrichten, der Kühlschrank stand Backbord, die
Spüle und der Thermostat für Teewasser waren Steuerbord.
„Wir werden jetzt das Mittag zubereiten. Es wird immer noch ein Deckshand für
euch da sein, im heutigen Fall ich. Hauptaufgabe neben dem Zubereiten der
Mahlzeiten ist das Abwaschen. Und das ist bei über vierzig Mann nicht wenig, wie
ihr euch denken könnt. Wecken zum Frühstückmachen ist morgens Viertel vor
Sechs, fertig seit ihr dann gegen acht, halb neun abends. Dafür müsst ihr an den
Tagen nicht zu euren Wachen.“
Er trat neben den Kühlschrank und öffnete eine im Boden befindliche Luke aus
Aluminium.
„Das ist der Kühlraum. Er wird gekühlt durch eine Klimaanlage und das Wasser
des Ozeans, da er sich direkt an der Außenseite befindet, hinter der Messe. Dort
wird das Obst, Eier, Butter und solch Zeug aufbewahrt. Was ihr benutzen könnt,
wird von mir vorgegeben, damit uns die Lebensmittel nicht auf halber Strecke
ausgehen. Auf unserer Tour können wir nirgendwo Halt machen, weil da einfach
nichts ist.“
„Wo ist das Fleisch?“, fragte Rainer.
„In einer Tiefkühltruhe im Messelogis am Bug. Heute wird es jedoch nur Dosensuppe
geben, der Einfachheit halber. Rick und Alexander, ihr holt die Dosen aus
der Dosenlast. Wisst ihr, wo das ist?“
„Yep.“
Beide machten sich auf den Weg. Rick war ein gutaussehender Mann Mitte Ende
zwanzig. Er kam aus Südafrika, war jedoch weißhäutig und war, soweit Alexander
erfahren hatte, in der südafrikanischen Marine gewesen.
Er sprach nur wenige Brocken Deutsch, was die Kommunikation mit ihm für
Alexander nicht gerade vereinfachte. Zwar beherrschte er die englische Sprache
aus dem Unterricht in der Schule, jedoch dauerte es immer sehr lange, bis er sich
überwinden konnte, einfach drauflos zu reden, ohne zu überlegen, ob das, was er
sagte nun richtig war oder nicht.
Alexander öffnete die Luke der Dosenlast unter dem mittleren Niedergang und
quetschte sich in das niedrige Kämmerchen unter den Kammern zum Schlafen.
Die Dosenlast war nur etwa einen Meter hoch, links und rechts waren Regale, in
denen sich massenweise Dosen und Büchsen stapelten. Nachdem er den Lichtschalter
gefunden hatte, suchte er die Suppen, und griff sich drei der Zehnliterbe-
34
hältnisse mit Gulaschsuppe. Eine nach der anderen reichte er sie Rick nach oben
und stieß sich dabei mehr als einmal Kopf oder Ellenbogen.
Er stand direkt auf dem Sockel aus Beton, der den Kiel des Schiffes fühlte. Nachdem
er unter Ächzen und Stöhnen und dem amüsierten Gelächter von Rick
wieder aus der Last geklettert war, trugen sie die Büchsen in die Kombüse und
erwärmten die Mahlzeit.
Wenig später läutete Rainer die Schiffsglocke aus Messing, welche an der
Vorderseite des vorderen Niedergangs angebracht war. Das Signal zum Essen.
Sofort zog sich eine Schlange aus Hungrigen durch den Quergang im Deckshaus,
wo die Luke der Essensausgabe war.
Nachdem sie alle gegessen hatten und gesättigt waren, wusch Rick ab, während
Rainer und Alexander das Geschirr abtrockneten. Dabei versuchten sie, sich auf
Englisch zu unterhalten, damit auch Rick sie verstehen konnte.
Rainer war Journalist, zwar ungelernt, aber er hatte ein entsprechendes Studium
bereits begonnen. Er strahlte eine angenehme Zufriedenheit aus, auch Rick lachte
und scherzte, während Alexander mit seiner Unruhe rang.
Das sollte das Leben sein, welches er die nächsten elend langen Wochen führen
sollte? Stundenlang abwaschen und sich krampfhaft mit Menschen unterhaltend,
die er nicht kannte? Was hatte er sich bloß gedacht?
All seine Freunde waren daheim, in Deutschland. Dort, wo er jetzt auch gern
wäre. Beinahe stiegen ihm Tränen in die Augen, wenn er an sie dachte. Seine
Freunde waren ihm im Verlauf des letzten Jahres sehr ans Herz gewachsen. Viel
länger kannte er sie auch nicht. Zumindest die meisten. Zu seinen ehemaligen
Klassenkameraden hatte er nur noch vereinzelt Kontakt. Inzwischen aber hatte er
seine kleine Familie aus Freunden um sich gescharrt. Menschen, mit denen er
sich blind verstand, die ihm immer Wohlbehagen bereiteten und ihm Aufmerksamkeit
schenkten.
Aber auf diesem Schiff war er allein. Und obwohl er jahrelang ein Einzelgänger
gewesen war, hasste er die Einsamkeit. Sie machte ihn depressiv und melancholisch.
Und jene Schwermut hatte ihn dazu getrieben, etwas anderes machen zu
wollen, etwas erleben zu wollen. Wie diese Schiffsreise zum Beispiel. Doch nun
wollte er nichts mehr, als bei seinen Freunden sein, seiner Familie, in der Welt,
die er gewohnt war.
Ein verdammter Teufelskreis.
Der Abwasch war erledigt und vor dem Nachmittagskaffee hatten sie eine halbe
Stunde Pause. Alexander setzte sich mit seinem Tagebuch und Bleistift in eine
stille Ecke auf Deck. Mittschiffs hatten die anderen inzwischen ein altes Schlauchboot
mit Wasser gefüllt und nutzten die sogenannte Pottsau als Swimmingpool.
Alexander hatte ein großes, schwarz eingebundenes Buch geschenkt bekommen,
um zu dokumentieren, was ihm als wichtig erschien. Noch immer sehr geistesabwesend
schrieb er seine ersten Eindrücke dieses Tages nieder.

zauberin60 ( gelöscht )
Beiträge:

23.04.2006 18:14
#6 RE: Reise zu den Kanaren (Arbeitstitel) Antworten

hm, nur mal so als feedback, liest jemand den Bericht?

joschy ( gelöscht )
Beiträge:

23.04.2006 18:24
#7 RE: Reise zu den Kanaren (Arbeitstitel) Antworten

Hai

Jutta,ganz ehrlich ist laaangweilig

Aber nicht böse sein,eventuell gibt es auch andere Meinungen

golfo ( gelöscht )
Beiträge:

23.04.2006 18:27
#8 RE: Reise zu den Kanaren (Arbeitstitel) Antworten

hm, nur mal so als feedback, liest jemand den Bericht?

Gran Canaria Forum Offline




Beiträge: 21.836

23.04.2006 20:21
#9 RE: Reise zu den Kanaren (Arbeitstitel) Antworten

ich habs gelesen

golfo ( gelöscht )
Beiträge:

23.04.2006 21:33
#10 RE: Reise zu den Kanaren (Arbeitstitel) Antworten

Die arme Sanny muß alles lesen

Gran Canaria Forum Offline




Beiträge: 21.836

23.04.2006 21:44
#11 RE: Reise zu den Kanaren (Arbeitstitel) Antworten

jep. so bin ich

zauberin60 ( gelöscht )
Beiträge:

24.04.2006 23:07
#12 RE: Reise zu den Kanaren (Arbeitstitel) Antworten

35
Montag, 24. Juli
Notiz
Was mache ich hier eigentlich?
Wo ist meine Begeisterung, mein Enthusiasmus geblieben?
Tatsächlich gibt es Menschen, die wirklich alles gründlich und mit
Elan zu erledigen scheinen.
Heute habe ich gemerkt, dass ich diese Fähigkeit nicht habe.
Nicht im Geringsten.
Wann ist es passiert, dass ich aufgehört habe, zu leben? Grosser
Gott, wie theatralisch.
Warum kann ich in all dem keinen Sinn sehen, warum nervt es
mich, obwohl ich genau weiss, dass es eben nicht immer festgesteckte
Ziele geben muss, dass man eben nicht alles mit tieferem
Sinn hinterfragen muss.
Als Andreas D. ihn wieder in die Kombüse rief, war er auf dem Tiefpunkt seiner
Laune angekommen. Missmutig trabte er achtern, wich dabei den anderen
aus, welche sich gar nicht um ihn kümmerten, während sie die Rahen des
Vortopps brassten.
36
Abendfriede
Als die Sonne sich anschickte, hinter dem Horizont zu verschwinden, war Alexanders
Backschaft beendet. Sie hatten lange Würste aufgeschnitten und auf
Tellern verteilt, das selbstgebackene Brot ebenfalls, sowie Käse und Tomaten.
Nach dem Abwasch hatten sie noch Schränke und Boden gescheuert und sich
dann geschafft jeder seinerselbst gewidmet.
Alexander saß auf der Brücke. André, zwei Jahre älter als er selbst, stand am Ruder.
Er gehörte zur Wache Drei, die bis Mitternacht Dienst schieben würde. Er
unterhielt sich mit Claudia, während Alexander verzaubert aufs Wasser starrte.
Der Wind hatte sich noch mehr gelegt, es war kaum noch ein Lüftchen zu spüren.
Viele der am Morgen gesetzten Segel waren wieder eingeholt wurden, um ein allzu
schlimmes Schlagen gegen Tampen und Stagen zu verhindern.
Von den anderen Teilnehmern der Regatta war weit und breit nichts zu sehen, die
meisten lagen schon weit vor der ROALD.
Die ROALD AMUNDSEN war kein sehr schnelles Schiff. Nach der Wiedervereinigung
Deutschlands hatte man sie aus dem Rumpf eines Tankloggers der NVA gebaut.
Nun war die frühere ‚VILM’ ein mit allen modernen Mitteln ausgestattetes ziviles
Segelschulschiff, das unter der Obhut eines gemeinnützigen Vereins stand.
Dieser finanzierte sich aus Reisen mit Novizen des Segelns, Neugierigen und
Freunden des Seefahrertums. Die Schiffsführung bestand aus ausgebildeten Nautikern
und patentierten Kapitänen, meistens aus der Handelsmarine, der Rest
hatte meist ebenso mit dem Roaldsegeln angefangen wie er selbst; als blutjunger
37
Anfänger. Hatten sie eine gewisse Befähigung erreicht, wurden sie Deckshands
oder Toppsgasten.
Alexander schloss kurz die Augen und versuchte die Ruhe zu fühlen und zu
verinnerlichen. Seine Beine und der Rücken schmerzten. Die Kombüse war gerade
hoch genug, dass er mit seinen knapp einsachtzig Körperhöhe bequem
stehen konnte.
Die Segel flappten leise und beruhigend vor sich hin, das Wasser gluckste am
Rumpf, überall schwatzten Menschen und er hielt eine Tasse Kaffee in Händen.
Inzwischen hatte die Sonne den wolkenverhangenen Horizont fast erreicht. Die
Wolken faserten wie zerrissene Wolle bis über sie hinweg. Das goldene Licht der
Sonne färbte den Himmel rot und purpur. Wie in einer Farbskala wechselte die
Farbe von Gelb am Horizont über Orange, Rot, violett bis beinahe Schwarz im
Osten.
„Wunderschön.“
„Ja.“
Während André Witz um Witz riss, notierte Alexander in seinem Buch:
Sonnenuntergang, 35 NM vor Halifax
Montag, 24. Juli
Hi Mum, hey Dad
Langsam finde ich Gefallen an der Sinnlosigkeit. Oder nein, dass
ist es nicht, was ich meine.
Das Leben an Bord ist, glaub ich, das Sein, sich zu beschäftigen,
hat man Wache, zu arbeiten, die Dinge am Laufen zu halten.
Das Farbenspiel des Himmels besänftigt meine ablehnende
Haltung, die ich den ganzen Tag über hatte.
Ich weiss, sehr wankelmütig, aber ich liebe Momente wie diesen,
wenn man innerlich, trotz allem, was belastet, oder zu belasten fähig
ist, ruhig wird, in besinnliche Stimmung verfällt.
Und dann denke ich an die Menschen, die mir fehlen und mir geht
es gut, weil ich weiss, oder glaube zu wissen, dass sie auf mich
warten und da sind, wenn ich wiederkomme.
Ich kann es im Moment nicht anders erklären. Auch weiss ich,
dass ich nicht geschrieben habe, was so passiert ist, seit ich das
Schiff das erste Mal betreten habe. Aber das...
Verzeiht mir. Ich werde versuchen, das nachzuholen. Ich würde das
alles so gern mit euch allen teilen. Nicht einer hier versteht
ironischen Humor. Es ist, als würde ich mit den Leuten hier telefonieren.
Und ihr wisst ja, wie sehr ich Telefonieren verabscheue.
38
Absurd. Ich hab nur Wasser vor Augen und mir fällt nichts ein, was
ich noch schreiben könnte.
Seltsam.
Ich liebe euch
Eigentlich hatte er tatsächlich nur aufschreiben wollen, was er erlebt hatte,
nicht seine innere Sicht verewigen, aber er bekam den Kopf nicht frei. Jedem, den
er kannte, wollte er Berichte schreiben und sie so abfassen, als wären es Briefe, die
er am nächsten Tag in den Briefkasten gab, damit sie wenige Tage später gelesen
werden konnten. Natürlich ging das nicht. Er würde sie ihnen geben, wenn er
wieder da war.
Wenn er sie endlich wiedersehen würde.
39
Schlaflos
Kurz vor Mitternacht schreckte Alexander hoch.
Ohne sich zu erinnern, was er geträumt hatte, rappelte er sich auf und schwang
die Beine aus der Koje. Die anderen drei seiner Kammer waren alle in der
Hundewache, welche um Mitternacht begann. Sie waren alle schon an Deck. Fern
hörte er ihre seichten Stimmen, die durch die Belüftungsschächte von Deck ins
Innere schlichen.
Sein Magen machte ihm Sorgen. Viel gegessen hatte er nicht den letzten Tag
über.
Schon immer war sein Magen ein Barometer dafür gewesen, wenn ihm etwas zuwider
war. Manchmal wusste sein Magen schon, das etwas nicht stimmte, bevor er
sich selbst dessen bewusst wurde. Deshalb war es ihm auch selten möglich, den
störenden Faktor genau zu beziffern, beziehungsweise sich zu beruhigen.
Schon bevor die Reisegruppe in Magdeburg aufgebrochen war, war es ihm so
gegangen. Seine Freunde hatten ihn zum Bahnhof gebracht. Ein paar Minuten
nach null Uhr hatte der Zug nach Frankfurt zum Flughafen abfahren sollen.
Die Reisegruppe hatte sich vor der Bahnhofshalle getroffen. Organisiert wurde
das ganze von Peter, einem evangelischen Pfarrer, der schon vor Jahren der
Leidenschaft des Traditionssegelns verfallen war und auch schon mehrere Male
auf der ROALD unterwegs gewesen war. Da sich Peter auch beruflich verstärkt mit
der Jugend beschäftigte, hatte er es sich zur Aufgabe gemacht, das Segeln Jugendlichen
näher zu bringen.
40
So hatte er aus Magdeburg und Umgebung eine Gruppe von neunzehn jungen
Menschen um sich gescharrt, mit denen er diese Reise gemeinsam unternehmen
wollte.
Sie hatten sich alle zusammen am Abend vor der Abfahrt im gegenüberliegenden
Kino noch den Film „Der Sturm“ angesehen, der die letzte Schicksalsfahrt
eines Fischkutters erzählte, ausgerechnet in genau den Gewässern vor der
ostamerikanischen Küste, welche auch die ROALD befahren würde, um nach Europa
zu gelangen. Es hatte schon etwas Seltsames, sich diesen Film anzusehen, denn
schließlich überlebte im Film niemand die Reise, welche auch sie bald antreten
wollten.
Unwillig und unruhig hatte Alexander sich zu dieser Gruppe gesellt, etwas abseits
hatte er ihnen zugehört, wie sich unterhielten. Er kannte nicht einen näher.
Irgendwann stürmte Peter auf ihn zu, einen Mann um die dreißig im Schlepptau.
„Schön, dass du da bist.“, begrüßte er ihn und stellte dann seinen Begleiter vor:
„Das ist Karsten Rother. Er arbeitet für einen regionalen Radiosender und wird
per Satellitentelefon zweimal die Woche fünf von euch interviewen, unter
anderem auch dich. Ist das in Ordnung?“
Ein wenig überfordert nickte Alexander.
„Schön.“, bemerkte Karsten und gab ihm die Hand. „Können wir gleich ein kurzes
Gespräch führen, dass wir dann nächsten Montag senden?“
Wieder nickte Alexander.
Beide entfernten sich etwas von der Gruppe und Karsten bereitete sein Aufnahmegerät
vor, das er an einem Riemen über der Schulter trug.
„Test. Test. Ich befinde mich heute am Bahnhof, wo eine Gruppe Abenteurer zu
ihrer transatlantischen Reise aufbricht. Wir haben schon die anderen gehört, nun
noch ein junger Mann aus Magdeburg. Er heißt Alexander, ist zweiundzwanzig
Jahre alt und Student unserer Universität. Alexander, wie geht es dir jetzt?“
Damit hielt er ihm das Mikrofon vors Gesicht und nickte aufmunternd.
„Gut.“, log Alexander: „Ich bin aufgeregt.“
„Was erwartest du von der Reise?“
„Eigentlich habe ich versucht, mir keine Erwartungen zu erlauben. Ich wäre sonst
vielleicht nur enttäuscht. Aber so kann ich vorurteilsfrei alles genießen, was
kommt.“
„Alles klar. Dann wünschen wir auch dir eine schöne und vor allem ereignisreiche
Reise und wir hören am Telefon wieder voneinander.“
Karsten schaltete das Gerät ab und rieb sich die Hände: „Feierabend. Viel Spaß,
bis demnächst.“
Und schon war er verschwunden.
Wenig später saßen sie alle im Zug, das Rattern der Räder und das stete Gemurmel
machten ihn müde, aber dennoch konnte er nicht schlafen.
Seine Freunde hatten ihn bis zum Zug begleitet, wie auch die anderen von
Freunden oder Verwandten gebracht worden waren.
41
Sie alle hatten sich schnell verabschiedet, es ihm somit sehr leicht gemacht. Nur
Leoni hatte gewartet, bis der Zug angefahren war.
Sie kannten sich erst seit gut einem viertel Jahr, hatten sich aber von Anfang an
sehr gut verstanden. Sie waren tatsächlich zu geistig Verwandten geworden, in so
kurzer Zeit, dass sie bald beinahe alles gemeinsam unternahmen.
Leoni hatte ihm versprochen, nicht zu weinen, beim Abschied, doch beide hatten
Tränen in den Augen gehabt, als es soweit war.
„Kommst wieder, ja?“
„Natürlich.“, versprach er.
Sie würde ihm am meisten fehlen. Sie und ihr kleiner Sohn Luka. Er hatte sie
beide tief in sein Herz eingeschlossen.
Irgendwann hatte er sein Buch aufgeschlagen und den ersten Eintrag formuliert.

zauberin60 ( gelöscht )
Beiträge:

15.05.2006 15:18
#13 RE: Reise zu den Kanaren (Arbeitstitel) Antworten

Hab schon gemerkt, die Geschichte kam nicht so an.

Der Vollständigkeit halber, und weil sie vielleicht doch jemand zu Ende lesen will hier die homepage des Vereins: link

Ich danke Sebastian Rogge ganz herzlich, das er mir die Veröffentlichung von "Die Reise zurück" erlaubte.

Maik2000 Offline



Beiträge: 160

15.05.2006 19:42
#14 RE: Reise zu den Kanaren (Arbeitstitel) Antworten

puhh....mach doch eine zusammenfassung in 3 sätzen!

 Sprung  
Xobor Forum Software von Xobor
Einfach ein eigenes Forum erstellen
Datenschutz