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Dieses Thema hat 1 Antworten
und wurde 742 mal aufgerufen
 Kinder, Schulen, auswandern mit Kindern oder Urlaub mit Kindern
zauberin60 ( gelöscht )
Beiträge:

21.10.2006 14:13
RE: Buchbesprechung: DER LETZTE KÖNIG DER KANAREN Antworten

So, damit ihr euch nicht langweilt, hab ich mir was neues ausgedacht:
Ich bringe euch zum anfixen die ersten beiden Kapitel eines Buches.
Zum weiterlesen schaut ihr hier:


Amazon

Alle paar Tage wechsele ich die Kapitel aus.

In seinem neuen Werk erzählt der Autor, gestützt auf seine
Mitarbeit am Terra-X-Band ›Von den Inseln des Drachenbaums
…‹, von der Eroberung der Kanareninsel La Palma
durch die Spanier im Jahre 1492 und vom verzweifelten
Kampf und der Niederlage der einheimischen Guanchen.

Harald Braem, geboren 1944 in Berlin, Diplom-
Designer, Schriftsteller, Professor für Kommunikation und
Design an der Fachhochschule Wiesbaden. Lebt in Lollschied
(Rheinland-Pfalz) und auf La Palma (Kanaren).
1988 und 1990 erschienen bei Piper seine beiden Romane
»Der Löwe von Uruk« und »Hem-On, der Ägypter«, die zu
großen Publikumserfolgen wurden. 1990 sendete das ZDF
in der Reihe »Terra X – Rätsel alter Weltkulturen« seinen
Film »Die Inseln des Drachenbaums« über die Frühkulturen
auf den Kanarischen Inseln.

Harald Braem
TANAUSU -
DER LETZTE KÖNIG
DER KANAREN

Roman Piper
München Zürich

Mein besonderer Dank gilt den Einwohnern von La Palma,
vor allem den alten, wegkundigen Hirten, die nicht
nur großartige Menschen sind, sondern auch direkte
Nachkommen des einst so stolzen und bewundernswerten
Guanchenvolkes. Ihnen wie auch dem Andenken an ihren
größten Helden Tanausu ist daher dieses Buch gewidmet.
Für La Palma in Liebe.
H. B.
ISBN 4-492-03090-4
© R. Piper GmbH & Co. KG., München 1991
Gesetzt aus der Aldus-Antiqua
Satz: Janß, Pfungstadt
Druck und Bindung: Mühlberger, Gersthofen
Printed in Germany
Non-profit ebook by tigger
August 2004
Kein Verkauf!
Inhalt
1. Teil ABONA
2. Teil CONQUISTA
3. Teil GUAYOTE

Die zur Kapiteltrennung verwendeten Vignetten zeigen
Felszeichnungen, die der Verfasser an verschiedenen
Kultstätten der Guanchen auf La Palma entdeckt hat.
(die konnte ich nicht kopieren, schade, bin aber dran)

»Die Kanarier waren wahrhaft, edel und
schätzten sehr die Tapferkeit …«

Leonardo Torriani

zauberin60 ( gelöscht )
Beiträge:

21.10.2006 14:14
#2 RE: Buchbesprechung: DER LETZTE KÖNIG DER KANAREN Antworten

TANAUSU -
DER LETZTE KÖNIG
DER KANAREN

8
»Höre«, sagte der Alte, »ich will dir die Geschichte erzählen,
und sie wird anders klingen, als du sie bisher gehört
hast. Denn im Gegensatz zu den meisten weiß ich, wovon
ich rede. Ich bin selbst dabei gewesen, damals, vor vierzig
Jahren, als die Fremden über das Meer zu unserer Insel
kamen …
Du siehst die Schlucht, die vor uns zur Bucht hin ausläuft.
Sie heißt Schlucht der Todesängste, und sie hat ihren
Namen wirklich verdient. Schreckliches ist damals dort
unten geschehen, viel Blut ist geflossen und hat den Taburientefluß
rot gefärbt. Zahllose Krieger sind im Kampf
umgekommen – fast alle Feinde, und viele von unserem
Stamm. Ich wurde selber verwundet und lag lange an der
Schwelle zum Schattenreich. Nur war meine Stunde noch
nicht gekommen, der Guayote aus dem Vulkan, der Dämon,
der die Seelen frißt, wollte mich nicht und schickte
mich ins Leben zurück, damit ich über alles nachdenken
und davon erzählen kann.
Und so war es: Ich war – wie du heute – zur Wache bestimmt
und saß auf dem Seelenstein. Und wie du zweifelte
ich heimlich am Sinn meiner Aufgabe, denn es hatte lange
keinen Krieg mehr mit den Leuten aus dem Aridanetal
gegeben. Trotzdem mußte Wache gehalten werden, so
hatte es der Rat der Alten bestimmt.
Und eines Tages sah ich ein Schiff, das ganz anders war
als unsere Drachenbaumboote: Riesengroß, mit hohen
Masten und gewaltigen Segeln, und am höchsten Mast
wehte ein buntes Tuch. Das Schiff fuhr in unsere Bucht
ein und ging vor Anker. Vom großen Schiff löste sich ein
kleineres Boot, in dem Männer mit blitzenden Waffen
saßen und in Kleidern, die in der Sonne glänzten. Sie
ruderten aufs Ufer zu, legten an, sprangen heraus und
kamen den Strand hoch.
Ich wollte zuerst gar nicht glauben, was ich sah, denn so
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etwas hatte es nie vorher gegeben, nicht ein solches Schiff
und nicht solche Menschen. Dann aber lief ich, so schnell
ich konnte, über die Hänge nach Tixarafe, um den Stamm
zu warnen. Madango, der damals noch ein junger Mann
und erst vor kurzem König geworden war, schickte Späher
hinauf zum Time. Auch ich war dabei. Wir beobachteten
von den Felsen aus, wie immer mehr Fremde aus dem
Schiff kamen und in die Boote stiegen. Bald war der
Strand von Taxacorte voll von ihnen. Sie schlugen ein
Lager auf und entfachten große Feuer.
Wir wußten nicht, ob die Leute vom Aridanetal sie auch
schon bemerkt hatten. Es ist flach dort, man kann den
Strand vom Dorf aus nicht sehen. Jedenfalls bliesen wir
das Muschelhorn, um sie zu warnen. Vielleicht hätten wir
gerade das nicht tun und uns still verhalten sollen. Wie wir
nämlich später erfuhren, hörten auch die Fremden das
Horn. Sie begannen den Strand abzusuchen und rückten
am Vormittag des nächsten Tages ins Aridanetal vor.
Taxacorte fanden sie verlassen vor. Die Bewohner hatten
das Dorf geräumt und waren mit all ihrem Vieh auf die
Hochebene gezogen. Aber die Fremden suchten alles ab
und plünderten die Häuser und nahmen alles Brauchbare
mit, vor allem Ziegen, Nahrungsmittel, Hausrat und
Schmuck. Auch ein Mädchen, Gazmira, die bei ihrer
kranken Mutter geblieben war, spürten sie auf und
schleppten sie als Gefangene weg.
Was waren das für Fremde? Wir erfuhren, daß sie sich
Spanier nennen und aus einem Land kommen, das weit
jenseits des Meeres liegt. Ein großer König regiert ihr
Reich und befehligt viele Krieger und Schiffe. Mit ihren
Seglern waren sie über das Meer gekommen und hatten
schon viele Inseln besetzt, auch die, die man an klaren
Tagen von den Gipfeln unserer Berge aus sehen kann und
die wir Gomera nennen. Du weißt, es ist weit bis Gomera
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und gefährlich, mit dem Drachenbaumboot dorthin zu
fahren. Deshalb hatten wir auch lange nichts mehr aus
Gomera gehört und keine Ahnung, daß da bereits die
fremden Eroberer saßen. Ganz überraschend tauchten sie
bei uns auf.
Und wir konnten schließlich, nachdem alles vorbei war,
noch mehr über die Fremden in Erfahrung bringen. Einer
von ihnen, den wir gefangennahmen und der später an
seinen schweren Verwundungen starb, sagte es uns. Er
sprach zwar eine völlig andere Sprache als wir, aber das,
was wir wissen wollten, haben wir trotzdem aus ihm
herausbekommen.
Ihr Anführer hieß Guillén Peraza und war der Sohn eines
gewissen Hernán Peraza, der für den fremden König
auf Gomera herrschte. Ein schlimmer Kerl muß dieser
Hernán Peraza gewesen sein, ein Menschenjäger und
Schinder, so sagte jedenfalls sein sterbender Krieger. Wir
wir später hörten, ist er schließlich von einem Guanchenprinzen
namens Huatacuperche erstochen worden, was das
Zeichen für einen Aufstand der Stämme auf Gomera war.
Sein Sohn Guillén Peraza war wohl genauso übel, denn
er wollte, obgleich er noch ein junger Mann war, unsere
Insel erobern und alle Einwohner als Sklaven verkaufen.
So ist es nämlich Sitte in jenem fernen Land Spanien: Sie
fahren mit vielen Schiffen über das Meer, überfallen Inseln
und betreiben Menschenhandel. Sie legen die Menschen
in Ketten, sperren sie wie Tiere in Käfige ein und
verkaufen sie irgendwo, wo man für arbeitskräftige Sklaven
große Reichtümer eintauschen kann.
Aber zurück zu meiner Geschichte: Die Krieger unseres
Stammes lagen also in den Bergen versteckt und beobachteten
die Fremden. Nach ein paar Tagen sahen wir, daß ein
großes Heer von ihnen, etwa zweihundert schwerbewaffnete
Männer, von der Bucht aus in die Schlucht eindrangen
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Guillén Peraza führte sie an. Er ritt auf einem merkwürdigen
Tier mit sehr hohen Beinen. Er, wie auch einige
andere Männer des Zuges, trug eine Kleidung, die wie
Schuppen von Fischen glänzte. Die Fremden gingen langsam,
manche schleppten schwere Lasten, und es klirrte
leise bei jedem Schritt.
Inzwischen waren auch die Krieger aus dem Kraterkessel
und die des Aridanetales zu uns gestoßen. Gemeinsam
beobachteten wir den Zug der Fremden. Madango erkannte,
daß sie nicht in friedlicher Absicht kamen. Sie hatten
Taxacorte überfallen und ausgeplündert, und jetzt kamen
sie mit all ihren Waffen zum Kraterkessel, in dem unser
Heiliger Berg, der Idafe, liegt. Sollten wir also zusehen,
wie sie ihn erreichten und womöglich dort den heiligen
Opferplatz schändeten? Madango unternahm den Versuch,
die Fremden aufzuhalten und zur Rede zu stellen. Er
schickte drei Krieger des Stammes hinab in die Schlucht.
Das waren Darapara, Chimayo und Garfa. Ich sehe es vor
mir, als wäre es erst gestern gewesen: Die drei kletterten
die Steilhänge des Time hinab und stellten sich den Fremden
in den Weg. Sie waren mutig und unerschrocken und
zudem mit Lanzen und Keulen bewaffnet. Wir alle sahen,
daß sie nicht drohend, sondern ruhig auf die Fremden
zugingen, um mit ihnen zu verhandeln. Was aber tat Guillén
Peraza? Er winkte von seinem hochbeinigen Tier aus
mit der Hand und gab ohne Warnung das Zeichen zum
Angriff. Mehrere Fremde hoben lange Hölzer und richteten
sie auf unsere Krieger. Es donnerte und gab Rauch,
dann sanken Darapara, Chimayo und Garfa wie vom Blitz
getroffen zu Boden. Jetzt stürmten andere vor und stachen
mit blitzenden Stäben auf sie ein, die doch schon bereits
am Boden lagen. Ich weiß nicht, was dies für Waffen
waren, aber ich sah, daß sie die drei Männer in kürzester
Zeit töteten.
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Was hättest du nun an unserer Stelle getan? Sollten wir
weglaufen, die Insel, unsere geliebte Heimat Benahoare,
den Feinden kampflos überlassen? Madango entschied
sich für den Angriff. Wir ließen die Fremden noch ein
Stück tiefer in die Schlucht hinein vorstoßen, dann schlugen
wir zu: Zunächst rollten wir Felsen ins Tal und lösten
Steinlawinen aus, die ihnen den Rückweg versperrten.
Dann verließen wir unsere Deckung und stürmten die
Hänge hinab. Viele unserer Lanzen und Schleudersteine
trafen und töteten feindliche Krieger. Aber die Waffen der
Spanier erwiesen sich als überlegen. Besonders gefährlich
waren ihre langen Hölzer, die Blitz und Donner spien.
Durch sie wurden einige unserer besten Leute getötet,
noch bevor sie den Gegner erreichen konnten. Auch die
blitzenden Stäbe waren besser als unsere Lanzen und
Keulen. Ein solcher Stab fuhr mir ins Gesicht, zerfraß mir
das Fleisch und hätte mir beinahe meinen Schädel gespalten.
Mit letzter Kraft schleppte ich mich davon, obgleich
ich viel Blut verlor. Schließlich schwanden mir die Sinne.
Als ich wieder zu mir kam, lag ich auf einem Felsvorsprung,
hinter einem Gebüsch verborgen, nicht weit von
der Schlucht entfernt. Grauenhaft brannte meine Wunde,
ich war viel zu schwach, um mich aufzurichten, aber ich
blieb bei Bewußtsein und konnte den weiteren Verlauf der
Schlacht verfolgen.
Unsere Krieger waren ein kurzes Stück in die Berge zurückgewichen.
Das war taktisch klug, denn hier fanden sie
Schutz, während die Spanier sich in der Schlucht nicht
verstecken konnten. Außerdem waren wir nun den Fremden
eindeutig überlegen, wir kannten jede Trittspur, jeden
Stein. Wir hatten die Spanier eingeschlossen. Immer wieder
sprangen unsere Krieger aus ihrer Deckung hervor,
schleuderten Steine und Lanzen und tauchten danach
wieder unversehrt in der Felswildnis unter. Es war klar:
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Wir mußten sie alle vernichten. Ich sah, wie Madango mit
ein paar Leuten den Anführer der Fremden angriff. Ein
schwerer Stein hatte seinen Helm getroffen. Guillén Peraza
stürzte von seinem Tier, als ihn Madango ansprang und
ihm die Lanze in den Hals bohrte. Ein fürchterliches Gemetzel
entbrannte. Von allen Hängen stürmten unsere
Krieger herab und fielen mit Kriegsgeschrei über die
Spanier her. Es gab viele Tote und Verletzte auf beiden
Seiten.
Schließlich zogen sich unsere Leute erneut zurück, um
den Einbruch der Nacht abzuwarten. Es waren nicht mehr
viele der Spanier am Leben. Hinter einem Felsvorsprung
hatten sie sich verschanzt, nachdem sie bemerkt hatten,
daß ihnen der Rückzug zum Meer abgeschnitten war.
Und dann kam die Nacht. Es war sehr dunkel, der Mond
besaß nur halbe Größe und war noch nicht über den Time
geklettert. Aber wir Guanchen sehen in der Nacht fast so
gut wie am Tage. Nach Mitternacht überfielen wir die
Fremden erneut. Ich hörte den Klang der Waffen, Schreie
und schließlich das Siegesgeheul unserer Krieger. Zweihundert
Spanier waren es am Anfang gewesen, nur eine
Handvoll soll entkommen sein. Am nächsten Tag verließ
das Schiff die Bucht.«
Adargoma hatte lange gesprochen, zuletzt war seine
Stimme ganz heiser geworden. Nun saß er da, den Kopf
nachdenklich gesenkt, er sann wohl noch einmal den
Ereignissen von damals nach.
Die Sonne war inzwischen über den Himmel gewandert,
länger wurden die Schatten am Time, die Schlucht lag
bereits ins Halbdunkel gehüllt. Noch immer kreisten Falken
über den Hängen. In den Bäumen schrillten Zikaden.
Bencomo hatte dem Bericht des alten Kriegers aufmerksam
gelauscht. Was er erzählt hatte, klang wirklich anders
als die Geschichten am Lagerfeuer. Er spürte, daß Adargoma
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alles selber miterlebt hatte und noch immer davon berührt war.
»Ja«, setzte Adargoma nach einer längeren Pause des
Schweigens fort, »nun weißt du, woher die Schlucht der
Todesängste ihren Namen hat. Todesängste haben wir
ausgestanden, und gewiß auch die Fremden in ihren letzten
Stunden dort. Besonders aber ich, besonders ich …«
Er hatte den Kopf gehoben und strich mit dem Zeigefinger
über die scheußliche Narbe zwischen Auge und
Mundwinkel.
»Ich lag lange auf jenem Felsvorsprung, bis man mich
endlich fand. Mehr als einmal spürte ich den Todesdämon
nahen, aber ich wollte einfach nicht sterben, es war noch
zuviel Lebenswille in mir. Schließlich pflegte die Medizinfrau
mich gesund. Und du siehst: Es ist ihr gelungen.«
Adargoma lachte. Dabei verzog sich die Narbe in seinem
verwitterten Gesicht. Aber je länger Bencomo hinsah,
desto mehr verlor sie an Schrecken. Er hatte sich fast
schon daran gewöhnt. Er fühlte eine tiefe Zuneigung zu
diesem alten Mann, der ein Verwandter seines Vaters war.
Viel schon hatte er von ihm gelernt, alle Kniffe und
Kenntnisse, die man nur einem erfahrenen Krieger abschauen
konnte.
Der Alte beugte sich vor und sprach plötzlich flüsternd,
was Bencomo recht unangemessen vorkam – schließlich
saßen sie beide allein auf dem Seelenstein, weitab von
Tixarafe und den Menschen. Wer sollte sie also hören?
»Seit jener Zeit haben wir nie aufgehört, die Bucht zu
bewachen. Wenn es auch für die Fremden eine schlimme
Erfahrung war, auf Benahoare zu landen, und hoffentlich
auch eine Lehre, so weiß man doch nicht, ob sie nicht
vielleicht doch eines Tages wiederkommen. Und wenn,
dann sollen sie uns bereit und in Waffen antreffen. Es ist
sehr wichtig, hier Wache zu halten, lebenswichtig sogar …
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Deshalb sollte ein Krieger, der hier oben seinen Dienst tut,
sich nie vom Schlaf übermannen lassen. Es kann verderblich
für den ganzen Stamm werden, wenn die Wache einschläft.«

Das Meer lag still glitzernd wie eine Perle zwischen den
Schatten der Berge. Ein sanfter warmer Wind glitt über die
Wände, raschelte in den langstieligen Blättern der Drachenbäume.
Wie Riesen der Urzeit sahen sie aus mit ihren
knorrigen Wurzelstämmen, den wuchtigen, weitausladenden
Kronen. Über die scharfe Felskante des Time glitt
pfeilschnell ein Falkenpaar dahin, streifte mit den Schwingen
fast den Boden, um sich dann im Steilflug in die
Schlucht hinabzustürzen. Ihr schrilles Keckern verriet, daß
sie dort unten Beute erspäht hatten. Weiter westlich tanzte
ein Krähenschwarm die große Spirale, regnete dann wie
auf ein geheimes Kommando hin auf die saftgrünen Hänge
ab. Ein paar Passatwolken trieben am Himmel. Als goldener
Kamm harkte die Sonne durchs Gras, ließ die Farben
aufleuchten, ein brennendes Grün, blutrot die Wände aus
Lavatuff und silbergrau die verwitterten, schrundigen
Basaltblöcke.

Friedlich war das Bild, einschläfernd das Gesumm der
wilden Bienen über den Blüten ringsum. Adargoma war
längst ins Dorf zurückgekehrt. Bencomo gähnte und
streckte sich. Er lag auf dem Rücken des Seelensteins, der
hier oben eine Mulde für den Körper bot, fast ein Bett. Ein
ganz besonderer Felsen war dieser Seelenstein: seine der
Schlucht und dem Kraterkessel zugewandte Seite war mit
einem großflächigen Bild verziert, einer tiefen, labyrinthartigen
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Gravur, deren Rillen immer wieder mit roter Erde
ausgemalt wurden. Davor lag auf einer Felsnase der Tagoror,
der Versammlungsplatz des Stammes, mit den zum
Kreis angeordneten Sitzsteinen. Zu bestimmten Zeiten
legte der Medizinmann Opfergaben für die Götter auf den
Stein, Milch und Butter, manchmal auch die Eingeweide
von Tieren. Diese heilige Handlung durfte nur er vollziehen,
allein, während sich der Stamm in gebührendem
Abstand hielt und auf das Eintreffen der Vögel wartete.
Wenn sie kamen, um sich die Opfergaben zu holen, dann
waren sie keine Falken und Krähen, Raben, Adler und
Geier mehr, sondern Boten der Ahnen, die ihre Nachrichten
zum Seelenstein brachten, Botschaften aus dem Jenseits,
die nur für den Medizinmann bestimmt waren, die
nur er verstand.
Später wurde der Altar des Seelensteins sorgfältig mit
Wasser gereinigt und diente wieder als Ausguck für den
Wächter des Stammes, wie nun Bencomo einer war. Man
konnte weit sehen, über die Schlucht hinweg in die jenseitige
Hochebene des Aridanetals und weiter noch bis zum
Steilkamm der Cumbre, wo an manchen Tagen die dickflauschigen
Passatwolken hängenblieben, um wie ein
weißer Wasserfall die Felshänge herabzuquellen. Im Aridanetal
franste der Wind die Wolken auf und trieb sie zum
Meer, weiße, geblähte Segel am blauen Himmel.
Und dann die Küste: ein grüner, nur von grauschwarzen
Lavazungen durchbrochener Streifen, der sich endlos nach
Süden zog. Vulkane hatten die Insel geformt, die Cumbre,
den Time, den Nambroque, den Bejanado und all die
anderen Berge steil aufgestülpt und breite Bänder aus
Lava zum Meer hinuntergegossen. Dort aber, wo die breite
Schlucht zwischen den Felsen klaffte, wo sie, aus dem
Kraterkessel kommend, zum Meer hin auslief, lag die
windstille Bucht von Taxacorte, die Stelle, die jeder
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Wächter besonders im Auge behalten mußte. Sollten
jemals fremde Schiffe auftauchen, so würden sie hier
landen, wie das schon einmal geschehen war, damals, in
jener schlimmen Zeit, von der Adargoma gesprochen
hatte.
Bencomo hatte noch nie soviel über den Überfall der
Spanier wie eben von dem Alten gehört. Bis heute waren
für ihn die Berichte von damals nur Märchen, Legenden
gewesen, die die Krieger erzählten, um sich selbst zu
rühmen, wobei sie es mit der Wahrheit sowenig ernst
nahmen wie die Jäger oder Fischer. Jetzt wußte Bencomo,
warum er über die Bucht wachen mußte, obgleich dort
niemals etwas geschah.
Er liebte die Bucht, das sanfte, manchmal aber auch aufgewühlte
Meer, den Strand mit dem feinen schwarzen
Sand, der an vielen Tagen so heiß von der Sonne wurde,
daß die nackten Sohlen der Füße wie Feuer brannten.
Lapas gab es dort, die schmackhaften Meeresschnecken.
Sie klebten überall an den wasserumspülten Felsen, man
brauchte die Früchte des Meeres nur abzuernten. Bencomo
war besonders geschickt darin, stets trug er eine scharfe
Feuersteinklinge bei sich im Gürtelsack. Damit konnte er
leicht unter die Schale der Tiere fahren, um sie vom Felsen,
wo sie sich mit ihrer weichen Seite festgesaugt hatten,
abzuschneiden. Zwanzig solcher Schnecken ergaben eine
gute Mahlzeit.
Aber das war nicht der einzige Grund, warum er die
Bucht von Taxacorte in letzter Zeit immer häufiger aufsuchte.
Die Gegend war eigentlich nicht sein Jagdrevier.
Mayantigo herrschte über das Aridanetal, zu dem Taxacorte
mit seinem Strand gehörte. Die Leute seines Stammesgebiets
sahen es nicht gern, wenn Menschen aus Tixarafe
und Hiscaguan die Berge herabgestiegen kamen, um sich
an den Lapas gütlich zu tun, es hatte deswegen schon
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Streit gegeben. Der wahre Grund, warum Bencomo gern
in die verbotene Bucht schlich, war Ica, die schöne Ica, für
die sein Herz heimlich schlug. Er hatte sie beim Baden
gesehen. Ihr Körper war braungebrannt und geschmeidig,
sie lachte, wenn sie auf die Brandungswelle zulief, so als
wolle sie mit ihr zusammenprallen und von der Wasserwand
umgerissen werden. Im allerletzten Moment erst
sprang sie ab und tauchte unter der Welle durch. Irgendwo
dahinter, bange Augenblicke später, tauchte ihr blonder
Haarschopf wieder auf, schüttelte sich, und ihr Mund
lachte, als berge das Meer keine Gefahr, sondern wäre
bloß ein Spielzeug für sie.
Dieses Lachen, besonders das Lachen war es, was Bencomo
verzaubert hatte. Mehrmals hatte er sie so erlebt, so
ausgelassen und übermütig. Aber nie hatte er die Gelegenheit
ergriffen, sie anzusprechen, und jetzt träumte er schon
von ihr. Er war wie verhext: Er, der jetzt ein junger Krieger
des ersten Grades war, die Mutprobe bereits bestanden
hatte und im Tagoror bei den Männern sitzen durfte, fand
nicht den Mut, ihr direkt in die Augen zu sehen oder gar
mit ihr zu reden. In seinen Träumen aber geschahen ganz
andere Dinge … Da tauchte er zusammen mit ihr durch
die Brandung, schwamm mit ihr um die Wette, holte sie
ein, umschlang ihren Körper, merkte, daß sich ihre Arme
nicht gegen ihn wehrten, spürte ihre Brüste, hörte ihr
Lachen dicht an seinem Ohr. Und später lagen sie im
warmen, schwarzen Sand, Icas Kopf in seiner Achselhöhle
geborgen, ihr Haar, ihre Haut, ihre Lippen schmeckten
nach Salz und ihr Blick war so verführerisch tief, daß er
gerne darin ertrank. In diesem Moment, hier in der Mulde
des Seelensteins, glaubte er wieder, neben Ica zu liegen.
Ganz deutlich meinte er ihren Körper zu spüren, ihren
Atem; ihr blondes, inzwischen von der Sonne getrocknetes
Haar wehte ihm über das Gesicht, kitzelte ihn. Er riß die
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Augen auf, sah sich verwirrt um. Neben ihm lag noch
immer die hölzerne Lanze mit der im Feuer gehärteten
Spitze, der Beutel aus dem Leder einer jungen Ziege, den
er vorhin vom Gürtel gelöst hatte. Gofio war darin, das
geröstete Mehlpulver aus den zerstampften Wurzeln des
Farnkrauts. Bencomo öffnete den Beutel, schüttelte etwas
vom weißgrauen Inhalt in seine hohle Hand, sammelte
Speichel und spuckte mehrmals auf das Mehl. Als die
Masse geschmeidig genug war, fing er an, daraus mehrere
kleine Kugeln zu kneten. Eine nach der anderen steckte er
in den Mund. Es schmeckte würzig, ein wenig herb vom
Rösten, und es machte ihn satt. Ein paar Wildfeigen, die er
am Morgen auf dem Weg zum Seelenstein gefunden hatte,
ergänzten das karge Mahl.
Zwei Eidechsen hatten sich lautlos genähert, ein braunes
Weibchen lag bäuchlings auf den warmen Felsen gepreßt,
der größere schwarze Bulle mit blauem, pochendem Kehlsack
hatte den Vorderleib aufgerichtet und die Krallenfüße
seitlich zur Sonnenanbeterhaltung gespreizt. Beide beobachteten
aufmerksam Bencomo, vor allem, ob etwas von
seinem Essen übrig bleiben würde. Aus der Nähe wirkten
sie wie kleine Drachen, wie Urwelttiere einer längst vergangenen
Epoche.
In der Tat hatte Bencomo die Stiele der Feigen nicht
mitgegessen, er warf sie in ihre Richtung, es war noch
etwas Fruchtfleisch daran. Unglaublich flink schossen die
beiden Tiere vor, schnappten nach den Happen und
schleppten sie rasch außer Reichweite. Bencomo lachte
und schnürte den Gofiobeutel fest zu. Er wußte, daß sie
nicht davor zurückschrecken würden, in die Öffnung zu
kriechen. Gofio stellte für sie einen besonderen Leckerbissen
dar.
Er gähnte erneut und machte es sich in der Steinmulde
bequem. Die Sonne stand nun hoch, es wurde heiß, der
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Wind hatte die letzten Passatwolken zerteilt. Es war still
ringsum. Der Schlaf im Schatten eines Drachenbaumes
würde jetzt guttun. Aber Bencomo mußte ja Wache halten,
in die Bucht von Taxacorte spähen, obgleich dort unten
nichts geschah. Es war nie etwas passiert, solange er denken
konnte. Aber Adargomas Geschichte hatte ihn doch
nachdenklich gemacht. Wenn sie nun noch einmal kämen,
diese Spanier …?
Fliegen umsummten seinen Kopf, er jagte sie mit einer
trägen Geste fort. Irgendwo kletterten Ziegen durch den
Steilhang des Time, Geröll löste sich unter ihren Hufen
und fiel zerbröckelnd zu Tal. Dann war es wieder still. Es
war die Stunde der lautlos dahingleitenden Falken. Müdigkeit
überfiel Bencomo. Zugleich stiegen die Träume
wieder in seinem Geist empor. Immer die gleichen Träume:
er kletterte den schmalen Saumpfad am Time hinab in
die Bucht von Taxacorte. Sein Weg war vorbestimmt, das
Ziel bekannt – das gischtschäumende Meer, das mit immer
derselben Woge an die schwarze Sandküste schlug, als sei
es ein großes, sattes Tier, das atmend dalag, sich reckte
und streckte. Beim Einatmen zog es das Wasser zurück,
formte Wellen daraus und schickte sie ausatmend wieder
gegen den Strand. Und es machte ein schnarchendes Geräusch,
wenn das zurückweichende Wasser die größeren
Kiesel übereinanderrollen ließ. Danach rauschte und gurgelte
die Brandung, so gleichmäßig, daß es müde machte.
Nur das helle Lachen tönte aus allem heraus, Icas Lachen.
Sie lag halb aufgerichtet im Sand, sprungbereit auf die
Hände gestützt und schnellte erst hoch, als die große
Welle sie beinahe erreichte, und wieder lachte sie dieses
Lachen, das Bencomo so liebte.
Jetzt zögerte Bencomo nicht länger, er sprang auf, rannte
auf das unendlich grünblaue Wasser zu. Gerade, als er die
Brandungswoge erreichte, traf ihn ein Schlag. Aber nicht
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von vorn, wie er erwartet hatte, sondern völlig überraschend
im Rücken. Bencomo schrie auf. Urplötzlich war
er wach. Er spürte, daß ihn da etwas von hinten angesprungen
hatte, ein großes, kräftiges Tier, das ihn zu Boden
warf und niederzwang. Den Atem an seinem Nacken
spürte er – und danach, wie aus dem Nichts, den zweiten
Schlag, heftig, schmerzhaft und dumpf. Das Meer brach
über Bencomo zusammen.

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