26.12.2004 Denkt noch jemand daran?

Das Jahr ist nun fast zu ende und wer erinnert sich nicht an den schrecklichen Tsunami2004. Wer die Bilderflut der Medien, der Toten, der Überlebenden und den Menschen dazwischen gesehen hat, hat vielleicht wieder mehr Gefühl für das eigene Leben mit seiner Vergänglichkeit bekommen. Durch ein Blinzeln der Natur entstand in einem kurzen Moment eine Katastrophe, deren Leid noch zwei Leben lang anhalten wird. Zweihunderttausend Menschen (stand zu diesem Zeitpunkt), jeder einzelne so individuell wie ich, mit dem Wunsch zu Leben, zu lieben, Kinder groß zu ziehen, zusammen oder alleine alt zu werden, starben bei dem hilflosen Versuch sich über Wasser zu halten und einer Welle zu entkommen die unsere Vorstellungskraft um Meilen übersteigt. Menschen aus aller Welt helfen, mit dem was sie haben, einer Nation am anderen Ende der Welt. Für einige Zeit ist vergessen wie unterschiedlich wir alle sind, unserer Hautfarben, unsere Geburtsorte, unseres Geschlechter. Für einige Zeit macht es wieder Sinn, dass die Natur uns nicht in ihrem letzten Aufbäumen von der Erde wischt um ihr eigenes Überleben zu sichern. Weil das Wort „Menschlichkeit“ von „Mensch“ kommt und weil wir für den Moment keine Glaubenskriege führen, keine Kinder töten.
Deutschland hat drei Gedenkminuten eingelegt, als Akt, als Symbol. Auch wenn mein Leben nicht reichen würde um das Leid zu begreifen, so sind diese drei Minuten doch ein Zeichen des Mitgefühls.
Kurz nach diesem schrecklichen Unglück sprach man davon, dass das Lied „die perfekte Welle“ von Juli nicht mehr im Radio gespielt werden soll und ich traute weder dem Überbringer, noch meinen Ohren. In dem verzweifeltem Akt sich mit den leidenden Menschen solidarisch zu erklären wird das Schwachsinnigste veranlasst. Was tun wir als nächstes? Schreiben wir die Bibel um, weil dort Noah als Einziger von der Flut verschont wurde? Wird Moses demnächst nur noch über einen See gewandert sein, weil das „Meer“ die schrecklichsten Assoziationen zulässt?
Von „ein Tag am Meer“ von den Fantastischen Vier mal gar nicht zu reden. Und was ist mit Hemingways „der alte Mann und das Meer“? Dann werden Wellenbäder verboten, Meersalz nicht mehr verkauft und es darf nur noch geduscht und nicht mehr gebadet werden. Und beim Friseur werden keine Dauerwellen mehr gelegt. Wäre dieser Vorschlag von der Bild-Zeitung gekommen hätte ich mich noch zurückhalten können, aber so…….. Das Leid nicht herunter zu spielen oder zu vergessen ist eine Sache, Wörter oder Sätze zu verbieten, weil durch sie Assoziationen geweckt werden könnten, eine andere. Bald wird das Wort „Welle“ nur noch leise, wie „Deutsches Reich“, „Atombombe“, „Euthanasie“ ausgesprochen. Wenn mit den Wörtern so viel schrecken in Verbindung gebracht wird frage ich mich unweigerlich warum wir noch „Columbus“, „Kirche“ oder „Politiker“ sagen dürfen. Warum überhaupt „Mann“ noch Teil unseres Wortschatzes ist. Wenn wir jedes Wort verbieten, bei dem wir an Qualvolles denken, wird selbst die „Liebe“ bald nicht mehr ausgesprochen werden dürfen, weil an ihrem Mangel womöglich noch mehr Menschen gestorben sind als an „der Welle“. Oder durfte ich das jetzt schon nicht mehr sagen?
In Gedanken an die Menschen welche sich in dieser furchtbaren Katastrophe verloren haben. Ihre Kinder, Ihren Glauben, ihre Träume, ihr Leben.